Liedersammlung "Mundorgel" wird 60 Jahre

In die Jahre gekommen

Rot, biegsam, Eselsohren: Eines der meistverbreiteten Liederbücher in Deutschland, die "Mundorgel", ist in die Jahre gekommen. In diesem Monat wird das Liederbuch in "Fahrtenhemdtaschenformat" 60 Jahre alt.

Autor/in:
Andreas Rehnolt
Die "Mundorgel" (DR)
Die "Mundorgel" / ( DR )

Es waren 1953 vier junge Mitarbeiter aus der Jugendarbeit des Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM), die die Idee hatten, für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen das Liederbuch zusammenzustellen. Der Name nimmt nicht etwa Bezug auf das uralte, asiatische Zungen-Instrument, das es bereits im zehnten Jahrhundert vor Christus gab. Sondern es verweist auf den 1953 amtierenden CVJM-Kreisvorsitzenden Horst Mundt in Köln, zu dessen Ehren der Name "Mundorgel" gewählt wurde.

Bis heute gilt die "Mundorgel", in deren aktueller Ausgabe inzwischen 278 teilweise mehrsprachige Lieder stehen, als Kult-Liederbuch. Und kaum jemand, der heute 40, 50 oder 60 Jahre alt ist, hat sie nicht selbst bei Fahrten mit der Schule, der Jugendgruppe oder dem Sportverein in der Hand gehabt.

"Mein Lieblingslied war immer 'We shall overcome'», erinnert sich Werner Freitag aus Düsseldorf an seine aktive Zeit bei den Pfadfindern. Auch Karl-Heinz Stumme aus Neuss kann sich noch gut an diverse Lagerfeuer-Abende erinnern. Sein persönlicher Hit war vor rund 40 Jahren «Die Affen rasen durch den Wald...", erklärt der 58-Jährige, der seine alte «Mundorgel» immer noch im Bücherregal stehen hat.

Lange Millionenseller

Bis heute sind von dem kleinen Liederbüchlein weit mehr als 14 Millionen Exemplare verkauft worden. "Viele der Heftchen sind innerhalb von Familien vom Vater oder der Mutter an die Kinder weitergegeben worden", erinnert sich Carola Steffens aus Grevenbroich. Die 60-Jährige weiß allerdings auch, dass ihre beiden Enkelkinder mit den Songs aus der "Mundorgel" nicht mehr viel anzufangen wissen. "Die Kids heute haben doch alle ihre elektronischen Geräte an den Ohren und singen - wenn überhaupt - nur noch aktuell gängige Hits mit."

Da waren die "alten Zeiten" zwischen 1965 und 1990 doch ganz anders gewesen. Anfang der 1970er Jahre besaß noch jedes zweite Kind zwischen zehn und 15 Jahren eine "Mundorgel", erinnert sich Rainer Lorenzen, der früher viele Jugendreisen mitmachte. "Damals hatte einer eine Gitarre mit, die anderen hatten die 'Mundorgel', das war schon ziemlich toll und auch romantisch, je nachdem, welches Lied da angestimmt wurde."

Es waren Lieder mit christlichem Hintergrund, Seefahrer-Lieder, Wanderlieder, Shantys, mittelalterliche Balladen und natürlich die damaligen Friedenslieder und Protestsongs wie "Sag mir, wo die Blumen sind" oder "House of the Rising Sun". In der ersten Ausgabe 1953 waren 132 Lieder enthalten - und einiges «braunes Liedgut» aus der Zeit des Nationalsozialismus war auch dabei. Da war dann von "Stoßtruppen" die Rede, vom "freudigen Kampf" oder von Christus als "Heerführer". Diese Lieder wurden dann in weiteren Auflagen gestrichen.

Die besten Zeiten sind vorbei

1975 stand die "Mundorgel" sogar auf dem fünften Platz der Jahresbestsellerliste, noch vor den damals aktuellen Werken von Alexander Solschenizyn und Johannes Mario Simmel. Und manch einer, dem man nach Jahrzehnten einen Titel aus dem Kult-Liederbuch nennt, fängt ohne großes Nachdenken an zu singen oder zumindest die Melodie zu summen. Klassiker waren unter anderem "Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen", "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" oder auch "Bruder Jakob".

Die Zeiten, in denen massenweise wandernd gesungen wurde, sind vorbei. Doch den kleinen Mundorgel-Verlag in Lindlar, zwischen Köln und Gummersbach gelegen, gibt es nach wie vor. Und auch die Mundorgel kann man immer noch kaufen, als Liederheft, in einer Notenausgabe oder auch als Großdruck. "Bei Jugendreisen - gerade auch ins Ausland - ist die 'Mundorgel' immer noch dabei", meint der Düsseldorfer Sportlehrer Manfred Weller, der selbst als 13-Jähriger erstmals das Liederheft bekommen hatte.

Heute hat der Verlag auch andere, zielgruppengenauere Liederbücher im Angebot. Da gibt es etwa "Halleluja Christ ist da" mit alten und neuen Liedern zum Advent oder zu Weihnachten, "Jesus Songs" oder auch das Heft "Die schönsten Lieder" mit Titeln aus Deutschland, der Türkei, Griechenland, Italien, Polen, Portugal und Spanien. Für den im Jahre 2000 gegründeten Mundorgel-Club in Bottrop-Kirchhellen gibt es nach eigenem Bekunden kein schöneres Lied als "Die Gedanken sind frei " in der Version des romantischen Dichters Hoffmann von Fallersleben, das sich seit 60 Jahren standhaft in der "Mundorgel" hält.


Quelle:
epd