Jeder Schritt, jede Mimik, jede Geste des neuen Papstes steht seit Tagen unter Beobachtung. Mit der Wahl zum Nachfolger des Petrus hat für Leo XIV. ein neues Leben begonnen, in dem er sich zurechtfinden muss. Vielen außerhalb des Kardinalskollegiums war der Name Robert Francis Prevost zuvor kein oder kaum ein Begriff. Umso neugieriger sind die Blicke, umso weiter gehend die Recherchen, um mehr über den 69-jährigen US-Amerikaner mit peruanischem Pass und fast 48 Jahren Ordensleben zu erfahren.
Ein erstes Statement
Als Leo XIV. nach seiner Wahl auf die Mittelloggia des Petersdoms tritt, wirkt er sichtlich gerührt und doch gefasst. Er winkt und hebt beide Arme zum päpstlichen Gruß und Segen. Die rote Mozzetta, den päpstlichen Schulterkragen, hat er ebenso wie die päpstliche Stola umgelegt. Symbole, die unter seinem Vorgänger nahezu aus der Öffentlichkeit verschwunden waren - zum Bedauern konservativer Kreise.
Seinen anschließenden Friedensappell auf Italienisch und in seiner zweiten Wahlsprache Spanisch hatte er nicht nur gedanklich, sondern schriftlich vorbereitet. "Der Friede sei mit euch allen", begrüßt er die jubelnden Menschen auf dem Petersplatz. "Ich hoffe, dass dieser Friedensgruß alle Völker und alle Menschen erreicht." Es sei "ein unbewaffneter und entwaffnender Friede", so der neue Papst weiter.
Leo XIV. wollte in diesen ersten Minuten seines Pontifikats nichts dem Zufall überlassen. So war es wohl auch kein Zufall, dass kein Wort auf Englisch, seiner Muttersprache, fiel. Prevost leitete zuletzt die Vatikanbehörde für Bischöfe, quasi die Personalabteilung der katholischen Weltkirche. Er ist Mitglied des Augustinerordens und war lange als Missionar und von 2014 bis 2023 auch als Bischof in Peru tätig.
Soll Kirche unter sich vereinen
Ein polyglotter Weltbürger, offen und bescheiden, ein guter Zuhörer, sportbegeistert und interessiert. Seit der Wahl übertrumpfen sich Weggefährten, Bischöfe und Kardinäle mit Beschreibungen des neuen Papstes. Die Quintessenz scheint eindeutig: Er kann es gut machen. Er kann die Kirche zusammenbringen, die Konservativen wieder integrieren, die unter dem teils impulsiven Franziskus verloren gegangen sind, und die Liberalen mitnehmen, die auf eine Fortsetzung des von Franziskus eingeschlagenen Weges hoffen.
Von außen betrachtet wirkt es wie die Quadratur des Kreises: Leo XIV. soll bitte spontan und menschennah sein, aber auch theologisch fundiert in jeglicher Hinsicht, konservativ und liberal. Doch genau diese Quadratur scheint Leo XIV. anzustreben, ohne eine Kopie irgendeines Vorgängers sein zu wollen.
Strahlt Nähe und Gelassenheit aus
Am Abend nach seiner Wahl ging er zurück in seine letzte Wohnung - vorerst, begrüßte dort Schwestern und Angestellte, gab erste Autogramme. Auch bei seinem Spontanbesuch eines bedeutenden Marienheiligtums in der Nähe von Rom zwei Tage später ging er auf jubelnde Menschen zu, schüttelte Hände und lachte mit ihnen. Ebenso bei seiner ersten Audienz, zu der er am Montag die internationale Presse empfing. Hände wurden geschüttelt, Geschenke entgegengenommen, gescherzt und gelacht. Zeichen der Nähe und Lockerheit. Oder wie Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, für viele der eigentliche Topfavorit bei der Papstwahl, es formulierte: große Gelassenheit.
Perspektivisch will Leo XIV. aber wohl wieder in den Apostolischen Palast ziehen. Erst müssen dort zahlreiche Umbauarbeiten abgeschlossen werden. Schließlich sind die Gemächer in den vergangenen zwölf Jahren unter Franziskus quasi "eingestaubt". Franziskus lebte bis zu seinem Tod im vatikanischen Gästehaus Santa Marta, was ihm stets als Zeichen seiner Bescheidenheit ausgelegt wurde, aber den Sicherheitsaufwand erhöhte. Der Prunk des leichter zu schützenden Palastes hingegen ist unbequemer als das Gästehaus, kühle Räume, wenig Nähe zu anderen. Es lässt sich alles so oder so deuten. Gleiches gilt für Leos lateinische Gebete oder die schwarzen statt roten Schuhe.
Sendet klare Botschaften
Weniger hineindeuten lässt sich in Ansprachen und Predigten von Leo XIV. Diese sind klar, in Sprache und Tonalität. Dabei wirken sie reiflich überlegt und ausgewogen. Auch hier kommt einem wieder die Quadratur des Kreises in den Sinn. Bei der ersten Messe mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle legte er den Fokus auf die dramatischen Folgen des Glaubensverlusts, sprach "die Krise der Familie" an. Der christliche Glaube werde nicht selten als "etwas Absurdes" angesehen. Mit seinem Einschwören der Kardinäle als engste Mitarbeiter oder dem Appell an Priester und Ordensleute beim Mittagsgebet sollen sich innerkirchlich alle angesprochen und gehört fühlen. Und, so sein weiterer Appell, selbst gute Zuhörer sein.
Auf der anderen Seite adressiert Leo XIV. die brennenden Themen dieser Zeit. Etwa wenn er seine Namenswahl damit begründet, dass er wie Leo XIII. ein Sozialpapst werden will - nicht aufgrund der industriellen Revolution, sondern um die Herausforderungen von modernen Technologien, insbesondere Künstliche Intelligenz, zu meistern. Letztere taucht immer wieder auf. Sie scheint ihn sichtlich umzutreiben. Ebenso die Presse- und Meinungsfreiheit.
Auch hier positioniert er sich klar, fordert die Freilassung inhaftierter Journalisten weltweit. "Die Kirche erkennt in diesen Zeugen - ich denke an diejenigen, die auch unter Einsatz ihres Lebens über den Krieg berichten - den Mut derer, die die Würde, die Gerechtigkeit und das Recht der Menschen auf Information verteidigen, denn nur informierte Menschen können freie Entscheidungen treffen", sagte er bei seinem ersten Treffen mit Medienvertretern. Die wiederum hoffen auf eine bessere Medienarbeit des Vatikans.
Ein Papst des Friedens?
Und Leo warnt vor einem Krieg in Bildern und Worten. "Nie wieder Krieg!", ruft der neue Papst beim ersten Mittagsgebet der Menge auf dem Petersplatz zu. Für die Ukraine und den Gazastreifen forderte er Feuerpausen, Waffenruhe, humanitäre Hilfe. Binnen weniger Tage hat Leo XIV. zahlreiche Appelle an die Welt geschickt. Und Hände ausgestreckt, etwa zur Jüdischen Gemeinde in Rom oder zur Ukraine. Dabei zitiert er immer wieder seinen Vorgänger Franziskus, insbesondere beim Thema Frieden, ebenso beim Thema Synodalität, dem neuen Stil eines katholischen Miteinanders, der Franziskus am Herzen lag. Leo XIV. beruft sich auf ihn, ein klares Zeichen an die Liberalen in der Kirche.
Aber Leo ist nicht Franziskus. Alles wirkt zu überlegt, zu bedacht, selbst die Spontanität. Authentisch, doch nicht impulsiv. So steht er am Grab seines Vorgängers mit einer weißen Rose in der Hand. Als Leo XIV. - nicht mehr, nicht weniger.