Lehrervertreter fordert vor Bildungsgipfel mehr Investitionen

"Wir haben Defizite"

Vor dem Bildungsgipfel von Bund und Ländern am Mittwoch beklagt das Handwerk bei immer mehr Schulabgängern Defizite. "Wir haben Defizite", sagt auch Heinz-Peter Meidinger. Im domradio-Interview fordert der Vorsitzende des deutschen Philologen-Verbandes mehr Investitionen in die Bildung.

 (DR)

domradio: Teilen Sie die Berechnungen des Deutschen Handwerks - sind es wirklich 20 bis 25 Prozent der Schulabgänger, die Probleme mit Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen haben?
Meidinger: Im Grundsatz hat die Handwerkerschaft Recht, bzw. die Wirtschaftsverbände, die immer wieder darauf hinweisen. Es gibt zwar keine belastbaren empirischen Studien, aber eines ist sicher: Die Rechtschreibleistungen deutscher Schüler sind nicht besser geworden.

domradio: Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem, dass es so viele Schulabgänger gibt, an denen fast ein Jahrzehnt Schule spurlos vorbeigegangen ist?
Meidinger: Ich hoffe nicht, dass die Schulzeit ganz spurlos an ihnen vorübergegangen ist. Es ist ein Problem der Ausbildungsreife, für das es viele Gründe gibt. Einer ist die mangelnde Integration in Deutschland. Wir haben unter den Jugendlichen eine große Anzahl an Kindern mit Migrationshintergrund, die einfach nicht die notwendigen Sprachfähigkeiten mitbringen - und die können dann teilweise in der Schule auch einfach nicht mehr vermittelt werden. Auf der anderen Seite erleben wir generell an den Schulen eine Vernachlässigung von Basis-Fertigkeiten.

domradio: Es scheint als ob der Aspekt Bildung nur noch ein Teilaspekt an den Schulen ist. Vielmehr steigt der Bedarf nach Sozialarbeitern und Psychologen. Wie muss man dieser Entwicklung Rechnung tragen?
Meidinger: Ich bin ein Freund der verstärkten Unterstützung von Lehrer durch Sozialpädagogen an Schulen. Ich weiß nur nicht, ob in dem Bereich der Defizite beim Lesen, Schreiben und Rechnen dieser Weg der hilfreichste ist. Ich verspreche mir mehr von einer intensiven Frühförderung, insbesondere der sprachlichen. Dazu brauchen wir natürlich bereits mit drei, vier Jahren auch Diagnosetests, die flächendeckend in ganz Deutschland erfassen, wie der Sprachstand ist, damit man frühzeitig gegensteuern kann.

domradio: Wir sprechen immer von "Bildungsrepublik" - es fallen Begriffe wie "Eliteförderung" - aber was ist mit der breiten Masse der Schüler. Fehlt in Deutschland da nicht so ein bisschen das Konzept?
Meidinger: Wir haben Defizite sowohl bei der Förderung besonders leistungsstarker Jugendlicher wie auch bei der Förderung Jugendlicher mit erheblichen Defiziten. In beiden Bereichen sind wir in Deutschland nicht gut aufgestellt. Und in beiden Bereichen müssen wir gut nachsteuern.

domradio: Am Mittwoch treffen sich die Kultusminister der Länder mit der Kanzlerin zum so genannten Bildungsgipfel. Was ist das dringlichste bildungspolitische Problem, was die Politiker in den Griff kriegen müssen?
Meidinger: Das dringlichste Problem ist die massive Unterfinanzierung der Bildung in Deutschland. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern - es gibt ja die berühmten OEC-Vergleiche - eindeutig zu wenige Ausgaben für Bildung. Wir geben einen zu geringen Anteil des Bruttosozialproduktes für Bildung aus. Daran hängt natürlich viel. Ich kann keine Ganztagsschule in Deutschland flächendeckend einführen, wenn dafür die Mittel fehlen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.