Der Mensch denke über seine eigene Existenz hinaus: "Er sucht eine Antwort, die er allein durch Vernunft und Logik nicht finden kann."
Wenn es zudem nur ein System gebe, das auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet sei oder eines, das Macht sammeln, verstärken und ausüben wolle, "dann würde aus Freiheit Willkür". Dagegen aber wehre sich jeder freiheitlich denkende Mensch.
Kirche hat an Vertrauen verloren
Je höher die Kultur sei, desto dringlicher werde das Begehren nach Freiheit und damit nach Maßstäben, "die dieser Freiheit in der Wahrnehmung einen subjektiven Inhalt geben", führte der Jurist weiter aus.
Mit Blick auf die Kirche räumte er ein, dass man sich in Europa und in Deutschland in einem gewissen Tief befinde. Das zeige aber auch, dass diese freiheitliche Gesellschaft nicht gelingen könne, wenn die freiheitsberechtigten Menschen nicht ihrerseits Maßstäbe wie Ethos und Moral mitbrächten, um diese Freiheit nicht zur Beliebigkeit und Willkür werden zu lassen.
Die Kirche habe zuletzt an Vertrauen verloren, konstatierte Kirchhof. Sie müsse deshalb beginnen, dieses Vertrauen wieder aufzubauen. "Mit ihrer Botschaft des Friedens und der Nächstenliebe hat sie positive Nachrichten und Informationen, aber auch Emotionen zu vermitteln."
Sie müsse jetzt vermehrt darüber sprechen und zeigen, was sie beispielsweise im karitativen Bereich leisten könne. Zudem müsse sie verdeutlichen, dass sie mehr Formen der menschlichen Begegnung als nur den rationalen Diskurs habe: die Musik, die Malerei, den Ritus.
"Es wäre eine grausame Gesellschaft, wenn der Mensch nur ein Vernunftautomat wäre."
Familie als wichtiger Quelle für Moral
Als Quelle und Vermittler für Prinzipien wie Ethos und Moral sieht Kirchhof neben den Kirchen auch die Familien, "vielleicht noch den Sport, der den Kindern Fitness und Fairness beibringt, und die Universität mit ihrer Rationalität, aber mehr haben wir nicht".
Deswegen sei er der festen Überzeugung, dass die Menschen, die über das Gelingen ihres Lebens entschieden, immer mehr das Bewusstsein empfänden, dass sie Orientierungspunkte und Gewissheit sowie eine Vernunft bräuchten, die das eigene Ego transzendiere.
Kirchhof hatte im November die Gastprofessur der "Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI."-Stiftung an der Universität Regensburg inne.