Lateinamerika und der Katholizismus

"Teología Indígena"

Die Marienstatue über dem Herd, der "lange Karfreitag" - Michael Huhn, Brasilienreferent bei Adveniat, berichtet über die "Teología Indígena" und das Wirken der Missionare in Lateinamerika.

Indianer in Kirche (dpa)
Indianer in Kirche / ( dpa )

domradio.de: Mit der Konquista kam auch der Katholizismus nach Lateinamerika - und traf hier auf indigene Religionen. Heraus kam eine sehr eigene Art, den Glauben zu leben, Christus anzubeten. "Teología Indígena" nennt sich das im Fachjargon. Könnten Sie uns ein Beispiel dafür nennen?

Huhn: Die Teología Indígena greift auf die vorspanischen Wurzeln ihrer Kulturen zurück. Zum Beispiel auf die Heiligkeit der Erde. Zum Beispiel auf die Bedeutung von Gemeinschaftsbeziehungen. Oder auch auf den Umstand, dass für die Armen in Lateinamerika das Leben oft ein Kreuz oder - wie sie sagen - ein „langer Karfreitag“ ist. Und deswegen spiegelt sich in der lateinamerikanischen Volksfrömmigkeit durch die Teología Indígena auch eine starke Kreuzesmystik, eine Kraft des Mitgehens des Karfreitags im Glauben, die in den Alltag hineinwirkt.

domradio.de: Wie macht sich das da bemerkbar? Wie sieht man das im Alltag?

Huhn: Die Pastöre werden feststellen, dass am Karfreitag die Kirchen voll sind und die Prozessionen während der ganzen Karwoche auch. Dass sehr sehr viele Leute zu den Wallfahrtsorten des Christo Nazareno gehen, dem leidenden, kreuztragenden Christus und das dann am Sonntag vielerorts die Kirchen erstaunlich leer sind, so als ob das Leben in erster Linie Leiden und Mitleiden mit Christus und von Christus im Leiden getragen sei und es wenig Auferstehung gibt.

domradio.de: Abgesehen von Ostern, wie sieht das mit dem täglichen Umgang mit dem Glauben aus? Wird der Glaube auch anders in den Alltag mit einbezogen?

Huhn: Was Lateinamerika insgesamt auszeichnet und den Glauben Lateinamerika ist die Selbstverständlichkeit mit der gebetet wird. Das ist das was mich immer wieder bewegt hat. So wie jemand sagte: "Wenn ich mein Tag nicht mit einem Morgengebet beginne, hat der Tag überhaupt keine Ausrichtung. Dann kann ich direkt liegen bleiben!"

Und das ist lateinamerikanische, durchaus auch vorchristliche Tradition, dass das ganze Leben, die ganze Umwelt heilig ist und das sich das darin äußert, dass man das Heilige bei sich in der Wohnung hat. Den Santo, die heilige Figur in der Ecke oder die Mutter Gottes über den Herd oder die kleinen Gedenk- und Gebetblättchen, die in den Büchern überall stecken, um in allen was man gerade verrichtet an Gott und das Gott ausgerechtete Leben zu denken.

domradio.de: Jetzt haben wir über die Teología gesprochen, jetzt gibt es aber auch sozusagen die Praxis, die Pastoral India. Wie geht denn diese Pastoral India vor und mit dieser speziellen Art von Glauben um?

Huhn: Lange Zeit haben die Missionare sehr gezögert, die Volksfrömmigkeit aufzunehmen. Einfach deswegen, weil sie ihnen fremd war. Sie kamen von Europa von einer ganz anderen religiösen Tradition, die von der Bibel und natürlich auch vom griechischen Denken, vom lateinischen Denken geprägt ist. Und andere Begriffe schienen da nicht hineinzupassen. Und deswegen war der Anspruch, dass was man Aberglaube nannte beseitigen musste, um einen "reinen" Katholizismus zu produzieren. Und es hat lange gedauert, bis vor etwa 50, 60 Jahren, bis die Priester, die Bischöfe die Missionare verstanden haben: „Gott ist schon da“. Wir haben ihn nicht gebracht als christliche Missionare, sondern es geht darum, in dem was das Volk tut, in der Volksfrömmigkeit, in seiner Kultur die Spuren Gottes zu entdecken und zu stärken, weil es die Menschen stärkt.

domradio.de: Könnte  man sagen, dass es dann irgendwann auch eine politische Ausrichtung genommen hat. Also wie sieht das aus in Bezug auf indigene Rechte? Wie tragen vielleicht auch solche Bestrebungen im Glauben dazu bei die Rechte der Indios zu stärken?

Huhn: Das hat sehr dazu beigetragen, dass es heute in Lateinamerika eine Indigenismo-Bewegung gibt. Also eine Bewegung des Selbstbewusstseins der indianischen Völker. Denn was die Missionare auch geleistet haben ist, dass sie die Gemeindeleiter ausgebildet haben und ihnen damit Selbstbewusstsein gegeben haben. Das was ihr Herkommen ist, ihre Kultur ist sozusagen nicht minderwertig gegenüber dem europäischen Import, sondern genauso gut und richtig. Und mit diesem Selbstbewusstsein sind die indigenen Führer, die Leiter der Basisgemeinden, die Leiter der Dorfgemeinschaften dann auch in die Politik und in die Wirtschaft gegangen und haben gesagt, es geht nicht, dass unsere Viertel und abgelegenen Dörfer benachteiligt werden, es geht nicht, dass der Wald abgeholzt wird, denn das ist unsere Lebensgrundlage.

Und von daher ist so die Unterstützung der Pastoral India, der Anerkennung der alten Volksfrömmigkeit nicht in der Frömmigkeit stehen geblieben, sondern wie sie zu Recht sagen, politisch wirksam geworden. Ich glaube, dass das was wir heute an indigenen Bewegungen sowohl in Bolivien wie auch in Ecuador haben ohne die Vorarbeit der Pastoral Inida und der Teología India so nicht entstanden wäre. 

domradio.de: Was würden Sie dann sagen, wenn jemand bemängelt, dass es aber ja in dem Fall doch europäische Missionare waren, die Indigenen diese Richtung Richtung Emanzipation vorgegeben haben. Schmeckt das dann nicht doch ein kleines bisschen nach Kolonialismus? 

Huhn: Nein überhaupt nicht, weil das ein Kolonialismus gewesen wäre, der sich gegen den alten Kolonialismus gerichtet hätte. Salopp gesagt, ein Antikolonialismus im Kolonialismus. Denn Sie müssen sich noch einmal erinnern, wie wenig Selbstbewusstsein viele indigene Völker nach dem Drama der Demütigung der Eroberung hatten. Und von irgendwo musste wie ein Katalysator der Anstoß kommen, damit sie sich mit Selbstbewusstsein hinstellen, auch damit sie aufbegehren. Und das war oft die Leistung von Missionaren, von Dominikanern, Franziskanern, den Jesuiten allen voran. Aber sie haben vorsichtig diesen Anstoß gegeben und dann darauf geachtet, dass es die Indigenen selbst sind, die für ihre Kultur stehen. Denn die europäischen Missionare sind und bleiben Europäer, auch wenn sie 30, 40 Jahre im Lande sind.


Papst mit indianischem Kopfschmuck (dpa)
Papst mit indianischem Kopfschmuck / ( dpa )
Quelle:
DR