Steinmeier in Hanau: Menschenfeindlichkeit bekämpfen

"Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet!"

Am ersten Jahrestag des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau gedachten Angehörige und Politiker der neun Ermordeten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief zum Zusammenhalt und zum Kampf gegen "bösartige Menschenfeindlichkeit" auf. 

Fotos der Opfer und Teelichter erinnern Menschen am Tatort der Morde in Hanau- / © Boris Roessler (dpa)
Fotos der Opfer und Teelichter erinnern Menschen am Tatort der Morde in Hanau- / © Boris Roessler ( dpa )

"Übersehen wir nicht die bösen Geister in unserer Mitte - den Hass, die Ausgrenzung, die Gleichgültigkeit. Aber lasst uns glauben an den besseren Geist unseres Landes, an unsere Kraft zum Miteinander", so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Freitagabend in Hanau bei einer gemeinsamen Gedenkfeier der Stadt und des Landes Hessen. "Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet!"

Am 19. Februar 2020 hatte der 43 Jahre alte Deutsche Tobias R. neun Menschen mit ausländischen Wurzeln in Hanau erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Die Bundesanwaltschaft attestierte dem Täter eine zutiefst rassistische Gesinnung.

Steinmeier: Aufklärung ist Bringschuld des Staates

Der Täter, so Steinmeier weiter, habe Angst verbreiten wollen. "Und diese von Hass und Vernichtungsfantasien bestimmte Weltsicht wird immer noch, Tag für Tag, verbreitet - von Menschenfeinden, die wissen, was sie tun", kritisierte Steinmeier. Die Morde in Hanau seien kein Zufall gewesen. "Die Taten waren von gezielt gesteuertem Hass initiiert", sagte der Bundespräsident. Rassismus, Hetze gegen Muslime und Juden und Überlegenheitsfantasien richteten sich "sehr genau gegen sehr bestimmte Menschen".

Der Gedanke, dass Verschiedenheit bekämpft werden müsse, solle "durch Ideologie und Lüge, durch Hetze und Ausgrenzung in unsere Köpfe gehämmert werden", rügte das Staatsoberhaupt. "Die bösartige Menschenfeindlichkeit, die sich im Netz oder anderswo zeigt, ist das gefährliche Gift einer kleinen Minderheit - aber ein Gift, das Wirkung hat." Es mache Menschen glauben, sie dürften "im Namen eines angeblichen Volkswillens andere Menschen demütigen, bedrohen, jagen oder gar ermorden". Aber die Mitbürger, "die bei Sinn und Verstand sind und ein Herz haben", wollten ein friedliches Zusammenleben.

Aufklärung und Aufarbeitung der Tat nannte der Bundespräsident eine "Bringschuld des Staates gegenüber der Öffentlichkeit und vor allem gegenüber den Angehörigen". Wo es Fehler oder Fehleinschätzungen gegeben habe, "da muss aufgeklärt werden".

Ermordete waren zwischen 21 und 37 Jahre alt

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) verlasen bei der Gedenkfeier abwechselnd die Namen der neun Ermordeten: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unver und Kaloyan Velkov. Die acht Männer und eine Frau waren zwischen 21 und 37 Jahren alt.

"Es waren nur fünf Minuten und sechs Sekunden, in denen neun Menschen starben", hieß es in einem eingespielten Film der Stadt Hanau. In Erinnerung an jede und jeden der Getöteten stand bei einer Gedenkfeier eine freistehende, beleuchtete Namenssäule auf der Bühne. "Wir werden sie nie vergessen", sagte Bouffier. Als Hanauer Ehrenbürger nahm auch der frühere Fußball-Weltmeister Rudi Völler an der Gedenkfeier teil.

Bei der Veranstaltung mit coronabedingt nur rund 50 geladenen Gästen im Congress Park Hanau, die im hr-Fernsehen live übertragen wurde, gab es auch Videoansprachen der Opferfamilien. "Wir wollen eine lückenlose Aufklärung", forderten mehrere Eltern von Ermordeten. Armin Kurtovic, der Vater von Hamza Kenan Kurtovic, sagte zudem in einer Rede bei dem Gedenken: "Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Kinder umsonst gestorben sind."

Zum Ende der Gedenkfeier läuteten um 19.02 Uhr die Glocken aller Kirchen der Stadt. So sollte auch diese Uhrzeit an das Datum des 19. Februar erinnern. Das Glockengeläut dauerte exakt so lange wie das Attentat: fünf Minuten und sechs Sekunden.

Von Norbert Demuth


Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem / © Abir Sultan (dpa)
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Yad Vashem / © Abir Sultan ( dpa )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema