Kurienkardinal Hummes über das Priesterjahr

"Positiv und konstruktiv"

Seit zweieinhalb Jahren steht der brasilianische Kurienkardinal Claudio Hummes der vatikanischen Klerus-Kongretation vor. Im Interview erläutert der Leiter des "Priester-Ministeriums" wie die Kongregation das gerade begonnene Priesterjahr begleitet und vor welchen Herausforderungen der katholische Klerus in Zukunft steht.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

KNA: Herr Kardinal, wie ist die Situation der Priester weltweit?
Hummes: Die Priesterzahl ist laut den vatikanischen Statistiken leicht gestiegen - von 407.000 im Jahr 2005 auf 408.000 im Jahr 2007. Wir sind zufrieden - aber auch nicht mehr. Denn auch die Weltbevölkerung und die Zahl der Katholiken wächst. Wir haben etwas Mühe, da hinterherzukommen. Europa verzeichnet einen stärkeren Rückgang als andere Kontinente, ebenso Kanada. Lateinamerika zeigt eine positivere Entwicklung, allerdings lag dort die Zahl der Priester immer unter dem Bedarf. Substanziellere Zuwächse gibt es in Afrika und Asien.

KNA: Welchen Zweck hat das Priesterjahr - außer dass es eine Motivationskampagne ist?
Hummes: Wir wollen ein positives und konstruktives Jahr. Nach all dem, was an Negativem zur Sprache kam und vorgefallen war, etwa die Pädophiliefälle, sollen die Priester die öffentliche Unterstützung der Kirche erfahren. Die überragende Mehrheit sind gute und treue Priester, auch mit ihren menschlichen Grenzen. Das wollen wir auch der Welt sagen. Die Kirche sieht ihre Priester positiv, bewundert ihr Engagement und freut sich, dass es sie gibt. Die Priester ihrerseits sollen das Bewusstsein für ihr Priestersein und ihre Identität vertiefen, auch den Sinn des Zölibats und der anderen Tugenden, die sie für ihre Mission und Berufung brauchen.

KNA: Manche meinen, das Profil des Amtes müsse aktualisiert werden, etwa auch im Blick auf die Zölibatsverpflichtung.
Hummes: Jesus Christus hat das Priesteramt eingesetzt. Deshalb kann es keine Änderung des Priesteramts geben, wie wir es haben. Der Priester von heute ist derselbe wie zu allen Zeiten, und er bleibt es auch in Zukunft. Aber die Ämter müssen für jede Zeit aktualisiert und inkulturiert werden. Priester müssen sich fähig fühlen, ihre Berufung in der heute immer dominanteren Kultur zu leben - und diese Kultur ist eine postmoderne, urbane, säkularisierte, laisierte und relativistische. Auch darüber soll das Priesterjahr reflektieren - nicht, um die Welt von heute zu dämonisieren, sondern um ihr mit Freude und Entschlossenheit das Evangelium zu verkünden.

KNA: In manchen Bistümern, etwa in der Schweiz, haben längst Laien - Männer und Frauen - die Leitung von Pfarreien. Muss man klarer zwischen dem priesterlichen Dienst im strengen Sinn und anderen Aufgaben unterscheiden?
Hummes: Natürlich - das ist eine ziemlich neue Frage, die wir noch studieren müssen, um die beste Lösung zu finden. Angesichts der sinkenden Priesterzahl und der vielen Pfarreien ohne eigenen Priester gibt es oft eine Reorganisation auf Pfarrebene, bei der man auch Laien bei der Ausübung der Seelsorge zur praktischen Mitwirkung heranzieht. Da muss man sehr aufmerksam sein, damit das respektiert wird, was zur sakramentalen Rolle des Priesters gehört.

KNA: Das heißt konkret?
Hummes: Der Priester hat ein Sakrament empfangen, das ihn mit Jesus Christus als Haupt und Hirten der Kirche gleichgestaltet. Die, die das Sakrament nicht empfangen haben, können diesen Platz und die Aufgaben, die damit verbunden sind, nicht übernehmen. Andererseits sind wir natürlich froh, dass Laien - nicht nur wegen des Priestermangels, sondern generell - an der Mission der Kirche teilnehmen wollen. Es ist nicht so, dass allein der Priester für die Kirche verantwortlich ist, und die Laien helfen ihm ein bisschen; jeder getaufte und gefirmte Christ hat auch Verantwortung.

KNA: Ein Anliegen des Papstes ist die Qualität des priesterlichen Dienstes. Bislang gibt es praktisch keine Kontrolle, wie Priester Liturgie feiern, ihre Gemeinde verwalten oder sich fortbilden. Muss sich das ändern?
Hummes: Wir betonen gegenüber allen Bischöfen, die nach Rom zu Besuch kommen, die Notwendigkeit der Fortbildung. Jeder Priester muss sich immer neu schulen. Die Beurteilung, wie einer seinen Dienst konkret ausübt, obliegt dem Bischof. Es geht nicht um Kontrolle; der Bischof soll unterstützen und Begeisterung vermitteln, als Vater, Mitbruder und Freund. Jeder Priester muss spüren, dass der Bischof ihm zur Seite steht. Außerdem gibt es in den Bistümern Priester- und Pastoralräte. Alle diese Strukturen können dabei behilflich sein, die Seelsorge insgesamt zu verbessern, und den Beitrag eines jeden aufzuwerten.

KNA: Seit kurzem hat Ihre Behörde neue Kompetenzen bei der Laisierung von Priestern. Ein Zeichen für eine strengere Disziplin?
Hummes: In Wirklichkeit geht es um das Heil der Seelen, das das oberste Gebot der Kirche ist. Bisher gab es Situationen, in denen Bischöfe nur schwer handeln konnten: Manche Priester verließen ihren Dienst, ohne einen Dispens zu erbitten. Manche teilten das nicht einmal ihrem eigenen Bischof mit, sondern gingen aus welchen Gründen auch immer einfach weg und heirateten vielleicht.

KNA: Und jetzt?
Hummes: Jetzt gibt es unabhängig davon Möglichkeiten eines Dispens, auch wenn die Priester selbst nicht darum bitten. Natürlich haben sie immer das Recht auf Anhörung und Verteidigung. Der Dispens ist letztlich immer eine Gnade, weil er von den priesterlichen Pflichten befreit, einschließlich dem Zölibat. Damit sind sie wieder in einer geordneten Situation - vor der Kirche, ihrem Gewissen und vor Gott.
Wie die neue Möglichkeit genutzt wird, wird man erst in einem Jahr sagen können.

KNA: Wie begleitet die Kleruskongregation das Priesterjahr?
Hummes: Wir stellen viele Materialien über unsere Website www.clerus.org bereit; es gibt auch eine eigene Internetseite zum Priesterjahr. Wir versenden Botschaften und Anregungen, aber wir bestehen darauf, dass die Ortskirchen ihr eigenes Programm machen.
Das Priesterjahr muss vor allem in den Ortskirchen stattfinden, in den Diözesen und den Pfarreien. Vor allem muss es ein Programm des Gebets geben, mit den Priestern und für die Priester. Es gilt, eine Spiritualität zu entwickeln, wie man in der Welt von heute als Jünger Jesu Christi leben und missionarisch wirken kann.

KNA: Zeit für einen Neuaufbruch also?
Hummes: Missionarisch sein heißt nicht nur warten, sondern sich aufmachen und zu denen gehen, die nicht von sich aus kommen. Nötig ist die Reflexion über die Identität des Priesters und den Zölibat - wie er heute gelebt werden kann und was sein Sinn in der Welt von heute ist. Es geht darum, wie man die Priester untereinander, mit ihren Gemeinden und Bischöfen stärker vernetzt, damit sie nicht vereinzeln. Denn eine solche Einsamkeit ist für niemanden gut.