Kunstpater Friedhelm Mennekes über den verstorbenen Künstler in einer Tradition mit Joseph Beuys und Johannes Paul II.

Schlingensief: "Großer Zeuge unserer Zeit"

Der Jesuitenpater und Kunstprofessor hat Christoph Schlingensief als "großen Zeugen unserer Zeit" gewürdigt. Er habe ihn als "tief geprägten Menschen" erlebt, sagte er im Interview mit domradio.de. Der am Samstag Verstorbene stehe in der Tradition der katholischen Künstlertypen im 20. Jahrhundert - und mit Papst Johannes Paul II. im Umgang mit seiner Krankheit.

 (DR)

domradio.de: Was bedeutet Ihnen der Tod von Christoph Schlingensief?
Mennekes: Zunächst einmal würde ich sagen: Es ist der Tod eines sehr lebendigen Künstlers. Eines Künstlers, wie wir ihn in Deutschland nicht regelmäßig haben. Wie er unter den vielen Künstlerinnen und Künstlern auftaucht, lebt und wirkt - und dann wieder verzieht. Dazu gehörte er. Ich sehe ihn natürlich in der Reihe mit Beuys, vielleicht auch noch Polke. Es sind aber nicht viele andere, die diesen kreativen Typ des übergreifenden Künstlers über alle Sparten hinweg verkörpern.

domradio.de: Sie haben ihn auch persönlich kennen gelernt.
Mennekes: Ich habe ihn länger kennen gelernt während der Biennale im Zusammenhang mit der CHURCH of FEAR, also der Kirche der Furcht. Und später haben wir uns hier und da im Zusammenhang mit Beuys getroffen. Und am Ende waren wir Kollegen an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig.

domradio.de: Immer wieder heißt es: Er war ein Provokateur, ein Überzeugungstäter. Wie haben Sie ihn erlebt?
Mennekes: Ich habe ihn immer als einen sehr tief geprägten Menschen gesehen. Für mich war er kein Provokateur. Es war einfach einer, der die Kunst thematisierte - und zwar in verschiedenen Richtungen. Und ein Mann, der übersprühte von Kreativität. Und einer, wenn ich das sehr vorsichtig sagen darf, der in der Tradition der katholischen Künstlertypen im 20. Jahrhundert steht.

domradio.de: Sie haben Beuys erwähnt. Was verbindet die beiden?
Mennekes: Ich glaube, das Menschliche, das Humane, das Existenzielle. Es war einer, der ihn tief geprägt hat. Und dann natürlich einer, der versucht, Sinn zu schaffen in einer Zeit, in der der Sinn schwindet und die so genannten Sinnagenturen - ob das die Philosophie ist oder die Kirche - mehr und mehr außerhalb der Funktion geraten; die Sprache und die Angebote werden von der Gesellschaft nicht mehr verstanden. Das ist ja die Tragik unserer Zeit. Und hier war er wirklich einer, der in der Mitte des Alten wie des Neuen stand.

domradio.de: Seine CHURCH of FEAR - hat er mit ihr den christlichen Kirchen so etwas wie ein Signal gegeben?
Mennekes: Diese Art von Künstler - das sind ja Menschen, die Verzweiflung an der Wirklichkeit und Verzweiflung an dem traditionellen Sinnerbe leiden. Auf der anderen Seite versuchen sie hier etwas zu erwecken. Nicht durch Lehrmeinungen, nicht durch Verkündigung, sondern schlichtweg durch eine künstlerische Existenz, die zu allererst die Verzweiflung thematisiert, die Sinnlosigkeit, dann darüber hinaus natürlich die neue Sinnsuche, also Vertrauen. Das Entscheidende bei der CHRUCH of FEAR - was ja nicht unbedingt in erster Linie ein kirchenkritisches Thema war, sondern ein existenzielles -, dass die Menschen unserer Zeit in dem Wirrwarr und dem Verlust jeglicher Glaubwürdigkeit der Sinninstanzen hier nicht in die Angst hinein versinken, sondern der Angst begegnen und mit ihr umgehen. Und natürlich in einer bestimmten Weise die Angst mäßigen, so dass sie ein existenziell humanistisches Element wird.

domradio.de: Sein Krebs hat ihn sehr in die Auseinandersetzung mit Gott und seinr katholischen Tradition geführt, sehr offen. Macht ihn das zu so etwas wie einem Märtyrer des zeitgenössischen Menschen?
Mennekes: Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten mit dem Wort Märtyrer. Aber auf jeden Fall würde ich sagen: Er war ein Zeuge. Zeuge eines Menschen, der krank ist, der auch weiß, dass die Menschen mehr krank sind, als sie zugeben, und dass die Kultur mehr Krankheiten birgt, als sie sie nach außen zelebriert. In dem Sinn war er ein offener Kranker. Wenn ich mir das erlauben darf: Hier berührt sich seine Rolle mit der des kranken und sterbenden Papst Johannes Paul II. Es ist das seltsame Phänomen, dass die Figur einer Zeit jetzt auf einmal zu einem Synonym wird, oder besser gesagt: zu einem Zeichen für andere. Auch Krankheit ist ein Wert. Für ihn war die Krankheit kein Fluch, sondern - in dieser Tradition auch - ein Wert, der ihn herausfordert, sich  zu stellen und damit umzugehen. Und nicht irgendwelchen vorgefassten Meinungen, die mir zur Seite gegeben oder die mir von Ewigkeiten her zugesprüht werden, sondern die ich im Zweifel und mit dem Glauben und mit dem Vertrauen für den Augenblick aus mir heraus selbst erringe - und damit eigentlich eine Glaubwürdigkeit darstelle. Das wiederum war ja auch etwas, das Johannes Paul II. gab; es war eine der großen, tiefen Botschaften und Bilder. Eine Botschaft nicht durch eine Enzyklika oder eine Lehrmeinung, sondern einfach nur durch ein Bild. Durch ein Zeichen. In dem Sinn würde ich sagen, war er ein großer Zeuge unserer Zeit und natürlich, wenn Sie so wollen, auch ein Märtyrer in einer Zeit, die den Menschen jagt und verteufelt und alles, was nach Krankheit und Schwäche sucht, vertüncht oder umbringt.

Das Gespräch führte Birgitt Schippers.