"Kunstpater" Friedhelm Mennekes kritisiert Politiker wegen ihres Kulturverständnisses

"Nicht Mittelmaß, nicht 1. FC Köln"

In seinem leidenschaftlichen Plädoyer für den Stellenwert von Kunst findet Friedhelm Mennekes drastische Worte: "Ich schäme mich meiner Stellvertreter, die ich in die Parlamente schicke." Warum sich der Jesuitenpater durch die meisten Politiker nicht würdig vertreten fühlt, erklärt er im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Es ist so, dass in der Politik alle möglichen Themen stehen: Soziales, Bildung, etc. Die Kultur hat fast keinen Stellenwert. Bedauern Sie das?

Mennekes: Ja, natürlich bedauere ich das. Das ist aber leider oft so, dass nicht nur die Kirche manche Fragestellung der Zeit verpasst, sondern mindestens genauso schlimm ist, dass die Politik das gleiche tut. Dass die, die im Amt sind, sich an das, was das Volk bewegt und was das Volk bewegen müsste, vorbeidrückt.



domradio.de: Was würden Sie den Politikern deshalb mit auf den Weg geben?

Mennekes: Politiker stehen immer in der Gefahr, eher Instinktfragen wie die nach Sozialem oder Freiheit zu bedienen als die großen Zusammenhänge. Ich habe das Soziale immer als das Entscheidende betrachtet, wusste aber immer: Man darf es nicht gegen die Kultur ausspielen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Du kriegst mehr Geld und mehr Initiative und Kraft für das Soziale, je mehr Du in das Kulturelle eingibst. Meine alte Gemeinde St. Peter hat fast jahrzehntelang 100 Kinder täglich mit einem Essen versorgt, und zwar über die Kulturschiene, über die Verantwortung. Kultur bremst nie das Soziale und Fragen nach Gerechtigkeit aus. Ganz im Gegenteil: Das Entscheidende und Entzündende der Kultur ist, dass sie allen Fragen treibend im Nacken sitzt. Das ist das Entscheidende. Deshalb ist es immer fatal, diese treibenden Kräfte zu vergessen.



domradio.de: Inwieweit spielt auch die Würde des Menschen in diesen Fragen eine große Rolle?

Mennekes: Die Fragen der Kultur sind letztlich die Kernfragen des Seins eines Ichs, seines Suchens und Fragens: Wo bin ich? Was soll ich? Das liegt parallel mit den religiösen Fragen. Aber Religion ist ja nie nur eine Sache der Theorie, sondern immer eine Überführung der Praxis. Das Problem ist: Man muss nachdenken, man muss argumentieren, man muss entdecken können und selber eine gewisse Sensibilität entwickeln, um die Zusammenhänge zu sehen. Neulich wurde ich eingeladen, über das Wertesystem in der europäischen Verfassung zu sprechen. Da hat man das gleiche: Werte hat man nicht ohne Kultur und ohne Religion.



domradio.de: Was erwarten Sie von Kommunalpolitikern?

Mennekes: Die meisten Politiker verwechseln ihre Aufgabe mit Buchhaltern der zweiten Garde. Das sind noch nicht mal leitende Buchhalter. Natürlich muss die Kasse stimmen, Gelder müssen sich bewegen. Aber es geht doch nicht um eine Reduktion; nur weil man bestimmte Gelder nicht hat, zu sagen: die darf ich nicht ausgeben. Kultur richtet sich letztlich immer auch an eine treibende Kraft, Kultur ist nicht Massenevent. Kultur ist eine Gemeinschaft von Leuten, die entschieden und anders leben. Und sie leben vor allem, indem sie den Alltag entscheiden und über ihn nachdenken. Kultur muss eigentlich auf der gleichen Ebene der Leidenschaft stehen wie die Religion. Deshalb würde ich sagen: Das haben Kommunalpolitiker nicht drauf, das haben sie nicht im Bauch, das haben sie noch nicht mal im Kopf. Aber sie wagen, sich wählen zu lassen! Sie sind aber überhaupt nicht gesellschaftsfähig, um das mal in diesem Punkt zu sagen. Wer der Kultur den Wasserhahn zudreht, betrügt das Volk und die Gesellschaft um erstens eine Reflektion, zweitens die Veränderungskräfte und drittens um den Dauerdruck, den man braucht, um in diesem Leben nicht einfach mitzuschwimmen. Ich kann nicht immer nur kürzen. Natürlich muss ich hier und da auch vielleicht mal eine unbeliebte Entscheidung treffen. Aber letztlich kann ich nicht die Kultur in die schiefe Lage bringen, die der  1. FC. Köln hat. Wer meint, es geht immer nur um Mittelmaß und das Mitschwimmen, kann weder das Heilige bewegen, noch das Geistige. Und in diesem Sinn muss ich sagen: Ich schäme mich meiner Stellvertreter, die ich in die Parlamente schicke. Sie reden immer nur über das, was ihr Herz treibt. Und da sie nicht von Kultur reden, sind sie nicht meiner Stimme würdig. Und da muss ich manchmal wirklich aus den gewohnten Lagern aussteigen. Man muss schauen, wem man die Stimme gibt. Wer das Wort Kultur noch nicht mal voll oder nur verlegen in den Mund nimmt, ist meiner Stimme nicht wert.



Das Gespräch führte Birgitt Schippers.