Kulturhistoriker über aufgegebene Kirchengebäude

Es muss nicht immer die Abrissbirne sein

Sie werden zu Lagerräumen, Mehrgenerationenhäusern, Freizeitanlagen - oder einfach abgerissen: Kirchen, die wegen schrumpfender Gemeinden nicht mehr genutzt werden. In seiner Promotion hat der Kulturhistoriker Martin Bredenbeck die Folgen anhand der Situation im Rheinland untersucht.

 (DR)

KNA: Herr Bredenbeck, mehr als dreihundert erweitert genutzte, umgenutzte oder abgerissene Kirchen haben Sie untersucht, 250 davon haben Sie besichtigt. Und was herausgefunden?

Bredenbeck: Betroffen sind vor allem jüngere Gebäude. 60 Prozent der im Rheinland aufgegebenen Kirchen stammen aus den 1950er bis 1970er Jahren. Nur 10 Prozent waren aus dem 19. Jahrhundert oder älter. Oft setzt der Denkmalschutz der Umnutzung dieser alten Gebäude enge Grenzen und sorgt für eine angemessene Bewahrung der Substanz. Aber es hat aus meiner Sicht vor allem geschmackliche Gründe, warum sich Katholiken und Protestanten am ehesten von den neuen Gotteshäusern trennen.



KNA: Die moderne Architektur wird nicht sehr geschätzt?

Bredenbeck: Richtig, ab den 1950ern entstanden sehr innovative Kirchen, die mit den traditionellen Bauformen oft nichts mehr zu tun hatten. Beide Konfessionen wollten so ihre Öffnung hin zur neuen Nachkriegsrealität mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen demonstrieren. Aber diese Ästhetik ist bei den Menschen nie wirklich angekommen, weder bei Laien noch bei Geistlichen. Sie hat die Leute einfach überfordert. Wenn heute Gemeinden zusammengelegt werden müssen, können sie sich von modernen Gebäuden leichter trennen als von klassischen Kirchen mit ihren hohen Türmen und traditionellen Glasfenstern.



KNA: Wie schwer wiegt denn aus Ihrer Sicht der kulturelle Verlust solcher Kirchen?

Bredenbeck: Für mich hat jede Kirche ihren kulturgeschichtlichen Wert, den man nach Möglichkeit erhalten und vermitteln sollte. Das fängt schon bei der Einrichtung an. Die liturgischen Gegenstände werden nach einer Kirchenauflösung meistens zerstreut, an Partnergemeinden im Ausland verschenkt oder entsorgt. Ganz zu schweigen von den städtebaulichen Auswirkungen, wenn Kirchen abgerissen und Grundstücke verkauft werden. Da gehen öffentliche Räume und architektonische Blickachsen verloren, die das Gesicht eines Stadtviertels geprägt haben. Wenn man alles mit Privathäuschen zupflastert, reduziert sich die Funktion der Stadt auf Essen, Wohnen, Schlafen. Es verschwindet Stadtkultur.



KNA: In der Regel werden die Gebäude aber an Investoren verkauft und weitergenutzt.

Bredenbeck: Von den 333 Objekten, die ich untersucht habe, wurden immerhin rund 80 abgerissen, die anderen teilweise völlig umgebaut. Da bleibt von der ursprünglichen Atmosphäre nichts mehr übrig. Wenn man dann vor einer Kirche steht, die plötzlich Teil einer Hotelanlage ist oder - wie in einem katholischen Fall in Mönchengladbach - zum Klettergarten umgerüstet wurde, dann ist das ein sehr irritierendes Gefühl.



KNA: Aber haben die Kirchenleitungen denn eine Wahl angesichts sinkender Mitgliederzahlen?

Bredenbeck: Ich glaube, dass die Verantwortlichen beider Konfessionen mit der Schließung von Kirchen zu schnell bei der Hand sind. Meine Promotion ist ein Plädoyer dafür, hier bedächtiger vorzugehen. Lieber mal eine Kirche leerstehen lassen und nur das Nötigste für den Erhalt tun oder sie für andere kirchliche oder auch profane Zwecke nutzen, als sie direkt zu verkaufen und mit der Abrissbirne zu kommen. Außerdem sehe ich das Problem gar nicht so sehr in den schrumpfenden Gemeinden, sondern in der fehlenden Zahl von Pfarrern.



KNA: Mehr Pfarrer ohne Gläubige?

Bredenbeck: Hätten die Kirchen genug Geistliche, um die Menschen anzusprechen, dann würden viele zurückkommen, davon bin ich überzeugt. Die Sehnsucht nach Spiritualität ist ja nicht kleiner geworden, eher im Gegenteil. Nur spielt sich das häufig nicht mehr in der klassischen Gemeinde ab. Darauf müssen die Kirchen mit neuen Konzepten antworten. Warum nicht mehr Kirchen speziell für Jugendliche, mehr "Citykirchen" als Ruheinseln im urbanen Trubel, mehr Trauerkirchen und Kolumbarien? Da vermisse ich mehr Bereitschaft zu solchen Modellen, für die es ja sehr erfolgreiche Vorbilder gibt.



Hintergrund: Für seine Promotion hat Martin Bredenbeck in dieser Woche in Berlin den Deutschen Studienpreis (2. Preis) der Körber-Stiftung in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften erhalten.



Das Gespräch führte Christoph Schmidt.