Vor 1.300 Jahren ist der Eremit Ägidius gestorben

Kult und Kommerz

Er gilt als Patron der guten Beichte. Im Mittelalter war der Heilige Ägidius einer der beliebtesten Heiligen. Kein Wunder also, dass der Gedenktag des Einsiedlers und Klostergründers einst groß gefeiert wurde.

Autor/in:
Anselm Verbeek
Abteikirche in Saint-Gilles / © LianeM (shutterstock)

Die Messe in Saint-Gilles hatte internationale Ausstrahlung. Aus ganz Europa strömten im Mittelalter Menschen in die Stadt an der Rhone-Mündung. Höhepunkt war der Festtag des Heiligen Ägidius, in Frankreich Saint Gilles genannt. Sein Todestag war der Gipfel im Leben der Gemeinde: gefeiert in der heiligen Messe am Stiftergrab und auf der großen Messe vor der Klosterkirche. Pilger und Kaufleute drängten sich in der riesigen Krypta am Grab; danach wurde gefeiert, mit Schmaus und Kauf auf dem Kirchplatz.

Am 1. September ist Ägidius' Todestag. Im Kalender der Heiligen, der den Alltag formte, hatte der Ägidiustag einen besonderen Platz; als Wetterregel im Bauernkalender ist der Septemberbeginn jetzt noch lebendig mit dem Satz: "Ist Ägidi ein heller Tag, ich dir einen schönen Herbst ansag." Das Patronatsfest ist im Brauchtum fest verankert.

Einsiedler und Klostergründer

Die Legende des Ägidius überliefert das Leben eines Einsiedlers und Klostergründers. Deshalb wird der populäre Heilige - er wird als einer der "Vierzehn Nothelfer" angerufen - in der christlichen Kunst mit einer Hirschkuh und einem Abts-Stab dargestellt. So hat ihn Hans Memling auf dem Lübecker Passionsaltar dargestellt: Ägidius ist der gütige Fürsprecher im Himmel; das Waldtier krault er zärtlich am Hals wie einen Hund.

Der Heilige wurde mit einer Hirschkuh gemalt - statt mit einer Furcht einflößenden Dogge, mit der sich die Mächtigen porträtieren ließen wie etwa Kaiser Karl V. von Tizian. Nach der Legende wurde Ägidius in Athen geboren. Der reiche Kaufmann verschenkte in der Jesus-Nachfolge seinen Besitz; er ließ sich, ergeben in Gottes Willen, übers Meer treiben. Sein Boot landete an der Mündung der Rhone. Dort lebte er in Waldeinsamkeit. Der Eremit ernährte sich von Wurzeln, Beeren und der Milch der zahmen Hirschkuh.

Der Einsiedler diente Gott - namenlos und unerkannt. Niemand würde den Nothelfer kennen, wenn nicht die Hunde einer Jagdgesellschaft die Hirschkuh aufstöbert hätten, die sich in seine Höhle flüchtete. Mit der Macht des Gebets gebot Ägidius der Meute Halt. Ein König der Westgoten wurde auf den Einsiedler aufmerksam; er gewann den frommen Mann, ein Kloster zu gründen.

In Kathedralenfenstern verewigt

Noch ein Ereignis aus dem Leben des Heiligen ist in das Bildgedächtnis eingegangen: wie ein Frankenkönig namens Karl Ägidius als Fürsprecher gewinnt. Die Sage hat den König mit Karl dem Großen identifiziert. Besonders dem Adel gefiel die Mär von dem wunderbaren Beistand des Ägidius in aussichtslos scheinenden Sündenfällen. Die Erzählung leuchtet auf den Glasfenstern der Kathedrale von Chartres: Der Heilige feiert Eucharistie am Altar; ihm gegenüber kniet der Kaiser mit Krone, nachdem er vom Schimmel abgestiegen ist - ein Statussymbol wie heute die schwarze Limousine der Politiker.

Ägidius zögert, Karl die Hostie zu reichen. Der Kaiser hat ein dickes Sündenregister, ob sexuelle Seitensprünge oder grausame Behandlung von Gegnern wie den Sachsen. Aber Ägidius hat einen guten Draht zum Himmel. Ein Engel stellt die Verbindung her. Von Gnade erzählt auch der goldene Karlsschrein im Aachener Dom: Eine Szene zeigt ein Beichtgespräch zwischen dem Heiligen und dem Kaiser; ein zweites Bild den Empfang der Kommunion nach Vermittlung eines Engels.

Patron der guten Beichte

Ägidius ging als Patron der guten Beichte, der gnadenhaften Befreiung von Schuld, in die Geschichte der Frömmigkeit ein. Die dem Heiligen nachgesagten Wunder haben die Mönche von Saint-Gilles in Mirakelbüchern aufgeschrieben - eine PR-Aktion. Pilger aus allen Ständen haben die Stadt aufgesucht: Prominente trugen ihre Anliegen dem Heiligen vor, darunter auch Adlige wie Herzog Heinrich der Löwe aus Braunschweig.

Das Grab des Einsiedlers war Keimzelle der aufblühenden Stadt. Der Hafen von Saint-Gilles wurde Drehscheibe des Handels. Hier kreuzten sich die großen Pilgerwege nach Jerusalem, Rom und Santiago. Vor allem die Wallfahrt zum "fernen Sankt Jakob" weckte seit dem 11. Jahrhundert ein Gemeinschaftsgefühl in Europa. Pilgerreisen, oft mit Handel verbunden, haben die religiös-kulturellen Beziehungen gestärkt. Ägidius' Grab an der Rhone-Mündung war eine Schnittstelle.


Quelle:
KNA