Augen, Mund und Nase flackern unheimlich im Halbdunkel des alten Pferdestalls. Eine Kerze im Innern taucht den fußballgroßen Kürbis in glühendes Orange. Das ist ein leuchtendes Vorbild für den achtjährigen Luis. Die Ärmel hochgekrempelt, steht er am Werktisch. Mit beiden Händen greift er in seinen Kürbis, zieht das zähe Fruchtfleisch mitsamt den Kernen heraus. Wenig später verpasst er der hohlen Kugel ein Gesicht. Und nach anderthalb Stunden leuchtet sein Kunstwerk mit zwölf weiteren "Kürbisgeistern" um die Wette. "An Halloween stell" ich ihn mit einem Teelicht vor die Haustür", kündigt der zierliche Junge an.
"Halloween boomt. Ich denke, dass irgendwann der Kürbis zur Tradition gehört wie der Weihnachtsbaum", sagt Ute Ligges, auf deren Hof im nordrhein-westfälischen Kamen jede Jahr im Herbst Dutzende der vergänglichen Fratzen entstehen. Vor zehn Jahren pflanzten die Floristin und ihr Mann Volker zum ersten Mal Kürbisse an. Inzwischen wachsen auf 35.000 Quadratmetern des Familiensitzes 193 verschiedene Sorten. Obwohl die Monate September und Oktober auf dem Bauernhof ganz im Zeichen der größten Beere der Welt stehen, hält Ligges wenig vom amerikanischen Halloweenrummel. Näher liegen ihr die keltischen Wurzeln des Brauchs. "Ich mag das Licht im Kürbis", sagt sie.
Der Abend vor Allerheiligen
In den Schnitzkursen auf ihrem Hof erfahren deshalb Kinder wie Erwachsene von den Ursprüngen des Halloweenfestes. In der 2.000 Jahre alten, ursprünglich aus Irland stammenden Tradition soll das Licht eine wichtige Rolle gespielt haben: Mit großen Feuern feierten die Kelten am letzten Tag im Oktober das Ende des Sommers. Der Überlieferung nach kamen die Seelen der Verstorbenen in jener Nacht zurück in ihre Häuser. Das Licht sollte ihnen den Weg weisen. Die Kinder des Schnitzkurses lernen: Erst Jahrhunderte später versuchte die Kirche, das ursprüngliche Druidenfest zu christianisieren, als "All Hallows" Eve", den Abend vor Allerheiligen.
Besucher des Ligges-Hofes könnten meinen, das Fest sei bereits in vollem Gange. Zu beiden Seiten des Hoftores stehen "Kürbisgeister". Orange, Gelb und Grün leuchtet es im Innenhof und in der Diele, wo die Früchte verkauft werden. Neben den bekannten kopfgroßen, orangenen "Hokkaidos" liegen gelbe, längliche, warzenförmige Kürbisse. Wie große Knoblauchzehen sehen die "Baby Boo"-Kürbisse aus, an große Birnen erinnern die cremefarbenen "Butternuts". Rund 120 Kilogramm schwer wird der "Atlantic Giant", nur wenige Zentimeter groß einige Mini-Kürbisse. Es gibt einfarbige, gestreifte, runde, gebogene, plattgedrückte und gurkenförmige Exemplare.
Schnelle Küche, schmackhaft und gesund
Eine Vielfalt, die hierzulande lange nicht bekannt war. "Am Anfang mussten wir richtige Pionierarbeit leisten", erinnert sich Ute Ligges im Rückblick auf zehn Jahre Kürbisanbau. "Die Leute hatten große Vorbehalte, sie kannten nur Kürbis süß-sauer." Um die Kunden auf den Geschmack zu bringen, kochte die Mutter von drei Kindern zusammen mit ihrer Schwiegermutter neue Kürbisrezepte und ließ die Hofbesucher probieren: überbackener Spaghetti-Kürbis, Kürbisravioli, Kürbis mit Kräuterquarkfüllung, Kürbismarmelade. "Die Kochveranstaltungen sind sehr interessant", sagt eine ältere Kundin, "man bekommt so viele Anregungen und das Zeug schmeckt auch noch hinterher!"
Der Kürbisboom kommt nach Ansicht von Volker Ligges daher auch nicht nur wegen Halloween. "Schnelle Küche, schmackhaft und gesund", zählt er die Vorteile der Frucht auf. Der 44-Jährige steht mit Jeans und Fleecejacke auf dem Feld. Zwischen verfaultem Kürbiskraut leuchtet es orange und gelb. Von Mitte August bis zum ersten Frost Ende Oktober erntet er die Früchte. In Handarbeit wird jeder Kürbis vorsichtig abgeschnitten. "Man muss sie wie rohe Eier behandeln", so Ligges. Wird der Kürbis entsprechend gelagert, liefert er nicht nur im Winter, sondern ein halbes Jahr über viele Vitamine. Dafür hat Ute Ligges eine einleuchtende Begründung: "Der Kürbis sammelt das ganze Jahr über die Sonne und gibt sie im Winter wieder ab."
Kürbisse sind nicht nur zu Halloween gefragt
Geisterschreck und Wundergemüse
Halloween boomt – und mit dem Fest der Kürbis: Im nordrhein-westfälischen Kamen baut Ute Ligges das Gemüse an. Auf ihrem Hof erfahren Kinder wie Erwachsene von den Ursprüngen des Festes - und die liegen nicht in den USA.
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