Künstler startet spirituelle Reise in Kirche

Sprechstunde beim Schweiger

Es klingt verrückt, doch der Künstler Daniel Beerstecher meint es ernst. Er will schweigend ein Jahr lang durch Deutschland wandern und zuhören, was ihm Menschen sagen. Seine "letzten Worte" spricht er in einer Kirche.

Kirche Sankt Maria in Stuttgart / © Zack Frank (shutterstock)
Kirche Sankt Maria in Stuttgart / © Zack Frank ( shutterstock )

Der Stuttgarter Performance-Künstler Daniel Beerstecher will am Freitag zu einer einjährigen Schweigewanderung durch Deutschland aufbrechen. 

"Ich werde ab dem 20. Juni ein Jahr lang schweigend durch Deutschland wandern und mich ganz der Kraft des Zuhörens widmen", kündigte er auf seiner Homepage an. Am Freitagabend werde er in einem Künstlergespräch mit dem Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in der katholischen Kirche Sankt Maria in Stuttgart "meine letzten Worte sprechen – für ein ganzes Jahr".

Bis 25. Juni werde Beerstecher zunächst "täglich von 11 bis 19 Uhr in und um die Kirche präsent sein – ganz still, doch voll zugewandt", erläuterte die katholische Kirche in Stuttgart. "Menschen, die ihm begegnen, sind eingeladen zu sprechen: über das, was sie bewegt, was gesagt werden will." In dieser "ungeteilten Aufmerksamkeit, ohne Bewertung, ohne Unterbrechung" – könne etwas entstehen, das im Lärm des Alltags oft verborgen bleibe: "Eine Begegnung mit einem Schweigenden, die vielleicht mehr sagt als viele Worte."

"Zuhören ohne Unterbrechung"

Nach seinem Projekt "Ich höre zu – Ein Jahr im Schweigen", bei dem er bei Gastgebenden oder in der freien Natur übernachte und mit leichtem Gepäck lebe, kehre er im Sommer 2026 nach Sankt Maria zurück, "um dort sein Schweigen zu brechen – und von seiner Reise zu erzählen", so die Kirchengemeinde. Neben Installationen, Collagen und Videos hat der 1979 in Schwäbisch Hall geborene Künstler in den vergangenen Jahren mehrere "Fortbewegungsprojekte" realisiert. So fuhr er etwa mit einem Segelboot auf Rädern durch Patagonien.

Am Gehen fasziniere ihn die Entschleunigung, sagte Beerstecher der "Stuttgarter Zeitung". "Die Sehnsucht, Ruhe im Kopf zu kriegen, erfüllt sich im Gehen." Bei seiner einjährigen Wanderung bis Lübeck und Greifswald im Norden sowie Freiburg und Konstanz im Süden – will Beerstecher für die dennoch notwendige Kommunikation Zettel mitnehmen – aus denen später eine Kunstinstallation werden könnte. Verbale Reaktionen werde er aber selbst nicht geben können. "Wenn einer schweigt, kann die Verbindung viel tiefer werden als mit den üblichen Einwürfen und Bewertungen", sagte Beerstecher der Zeitung.

Stille als Kontrast zur Polarisierung

Wahrscheinlich werde auch er einen Aufdruck auf dem Hemd tragen, auf dem sinngemäß steht: "Ich bin ein Jahr am Schweigen, aber ich höre ihnen gerne zu." Seine Motivation erklärte er mit den Worten: "Ich habe das Gefühl, dass wir in einer Zeit leben, in der die Polarisierung immer mehr zunimmt. Mir geht es darum, dieser Entwicklung als Kontrast die Stille entgegenzustellen."

Quelle:
KNA