Kritik an Undurchsichtigkeit des Quasi-Monopolisten wächst

"Blackbox Deutsche Bahn"

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann ist kein Politiker der lauten Töne.

Autor/in:
Olaf Jahn
 (DR)

Beim Thema Deutsche Bahn AG aber greift er zu drastischen Worten: Das Staatsunternehmen stelle einen übermächtigen und undurchsichtigen Machtblock dar. Dass die Bahn für gewählte Politiker eine Art Blackbox darstellt, wirkt überraschend. Zunächst.

"Das tut dem Land nicht gut", sagt Hermann. Mit dieser Einschätzung ist er nicht alleine. Der FDP-Abgeordnete Horst Friedrich verlangt "endlich" mehr Transparenz bei der DB AG. Der Bahnexperte Alexander Eisenkopf von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen betont, das Informationsmonopol der Bahn müsse aufgebrochen werden: "Das ist der Staat im Grunde den Steuerzahlern schuldig."

Dass die Bahn für gewählte Politiker eine Art Blackbox darstellt, wirkt zunächst überraschend. Die Deutsche Bahn gehört schließlich bis heute dem Bund und verschlingt Unmengen an Steuergeldern. Inklusive Altlasten steckte der Staat zuletzt jährlich rund 20 Milliarden Euro in das Gesamtsystem Schiene. Und eine effektive Infrastrukturpolitik, die den Standort Deutschland stärkt und die Chancen auf Wirtschaftswachstum und das Entstehen neuer Arbeitsplätze erhöht, braucht Detailwissen über das Schienensystem.

Die Bahn lässt Politiker immer wieder auflaufen
Doch entsprechende Daten behandelt die Bahn wie ein Staatsgeheimnis. In welchem Zustand die Schieneninfrastruktur genau ist, ob Konkurrenten beim Zugang zum Schienennetz gegenüber den DB-Töchtern benachteiligt werden, ob Staatsgelder sinnvoll verwendet werden - zu all diesen Fragen geben die Bahnmanager keine ausreichenden und überprüfbaren Informationen heraus. Die Bahn lässt Politiker immer wieder auflaufen. Für Alexander Eisenkopf ein unhaltbarer Zustand: "Die Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihre gewählten Abgeordneten die Chance bekommen, das Unternehmen zu kontrollieren."

Davon ist die Politik noch weit entfernt. Die DB AG ist mächtig und führt ein beträchtliches Eigenleben. Sie macht einen Umsatz von jährlich rund 31 Milliarden Euro, hat in Deutschland gut 180 000 Mitarbeiter und verwaltet ein Schienennetz von rund 34 000 Kilometern Länge. Sie sichert sich Herrschaftswissen, indem sie Schlüsselinformationen kaum preisgibt. Selbst die Bundesnetzagentur (BNetzA), die seit dem Jahr 2005 für die Regulierung der Eisenbahninfrastruktur zuständig ist, läuft bei der DB AG immer wieder auf. Gegen Informationsbegehren der Behörde klagt sie im Notfall - und hat damit teilweise Erfolg.

Die rechtliche Stellung der BNetzA ist bisher nicht stark genug, die Regierung hat es versäumt, sie mit ausreichenden Befugnissen auszustatten. "Wenn Fortschritte gewollt sind, muss die Politik hier Antworten finden", sagte Behördenchef Matthias Kurth der Nachrichtenagentur ddp. Auf Verbesserungen drängt auch der Eisenbahninfrastrukturbeirat der BNetzA. Ein zweiseitiges Schreiben an die Bundesregierung, das der Nachrichtenagentur ddp vorliegt, liest sich wie ein Hilferuf. Tenor: Die Behörde könne ihre Aufgaben nicht erfüllen, da sie unter anderem keinen Zugang zu Infrastrukturdaten oder zu konkreten Informationen über die Entgeltstruktur erhalte.

Im Ausschuss hieß es dann: "Wir haben nie danach gefragt!"
Die fehlende Kontrolle der DB AG ist nicht allein ein Ergebnis der Strategie des Vorstandschefs Hartmut Mehdorn. Die Politik ließ das Unternehmen auch gewähren. Patrick Döring (FDP), einer der jüngeren Bundestagsabgeordneten, erinnert sich kopfschüttelnd an seine ersten Sitzungen im Verkehrsausschuss im Jahr 2005: "Das war ein echter Schock. Da gab es Zustandsberichte für die Straßeninfrastruktur und für die Wasserstraßen. Aber zum Thema Schienen gab es nichts! Im Ausschuss hieß es dann: "Wir haben nie danach gefragt!"

Für seinen Fraktionskollegen Friedrich stand dahinter eine bis heute weit verbreitete Wahrnehmung des Konzerns: "Viele denken", so Friedrich, "die Bahn gehört irgendwie zu uns. Die machen das da schon". Kontrolle? Weitgehend Fehlanzeige. Nach drei Jahren ständiger Mahnungen und Nachfragen wollte die Bahn nun im Frühsommer erstmals einen detailliert aufgearbeiteten Netzzustandsbericht produzieren. Das Papier liegt inzwischen vor. "Aber", so Döring, "es fehlen wieder wichtige Informationen. Es ist wieder einmal ein Bericht, mit dem man kaum arbeiten kann."

Das Problem wird nach Ansicht des Bahnfachmanns Eisenkopf dadurch verstärkt, dass in den Ministerien wenig, von der Bahn unabhängiger, Sachverstand versammelt sei. "Dies alles", befindet Eisenkopf, "hat zu einem untragbaren Zustand geführt. Die Bahn verschönert beispielsweise ihre Bilanz systematisch auf Kosten der Substanz, indem sie die Instandhaltung vernachlässigt und damit kurzfristig Geld einspart." Die Netzzustandsberichte belegen seit Jahren, dass erhebliche Teile der Bahnanlagen zunehmend veralten.

"Der Bund gibt sich seit Jahren der Ausbeutung durch die Bahn hin"
Umso erstaunlicher erscheint es da, dass der Bund dem Konzern am Gesetz vorbei zusätzliche Milliardensummen zuschiebt. Der BRH stellte 2006 fest: In den Jahren von 1998 bis 2008 habe die Bahn abweichend von der Gesetzeslage Vorteile in Höhe von rund sieben Milliarden Euro erhalten. Darunter waren drei zinslose Darlehen von jeweils 750 Millionen Euro, die in nicht zurückzuzahlende, sogenannte "verlorene Baukostenzuschüsse" umgewandelt wurden. Allein dadurch verzichtete der Bund in Zeiten knapper Staatsfinanzen auf 2,25 Milliarden Euro, die laut Gesetz zurückgezahlt werden sollten.

Für Eisenkopf ist unübersehbar, dass sich "der Bund seit Jahren der Ausbeutung durch die Bahn hingibt". Der Staat habe die Bahn AG nach der Eisenbahnreform 1994 bis zum Jahr 2006 mit rund 45 Milliarden Euro an nicht rückzahlbaren Zuschüssen unterstützt. Dies sei fast die Hälfte aller von der DB getätigten Investitionen gewesen. Gleichzeitig sehe der Bund zu, wie die Bahn ihr Netz verringere. Eine Situation, die der Experte für Mobilitätsmanagement und Betriebswirtschaftslehre als "großes Faszinosum" bezeichnet.

Mit der Privatisierung droht weitere Undurchsichtigkeit
Hermann hofft nun zumindest auf eine übergreifende Koalition der Oppositionsparteien bei dem Versuch, die Bahn zu mehr Offenheit zu zwingen. Hermann: "Gerade in Zeiten knapper Kassen können wir uns keinen schwarzen Block im Kernbereich unserer Infrastruktur leisten."

Das meint auch Horst Friedrich. "Darum bin ich überzeugt davon, dass wir die Bahn voll privatisieren und nur das Netz beim Bund lassen müssen", formuliert der FDP-Politiker. Mit der Privatisierung von nur 24,9 Prozent drohe der Konzern dagegen noch undurchsichtiger zu werden. Friedrich: "Die Bahnmanager werden sagen: Unser privater Investor pocht darauf, dass seine Daten geheim bleiben. Dann fließt weiter Steuergeld in das Unternehmen, und wir haben noch weniger Kontrolle darüber, was die Bahn damit macht."