Kritik an möglicher Verschärfung der Asylbewerberleistungen

"An der Realität vorbei"

Die Union will weniger Leistungen für abgelehnte Asylbewerber bewilligen. Diese Forderung geht jedoch an der Realität vorbei, sagt der Leiter der Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln im Interview.

Familiennachzug von Flüchtlingen / © Carsten Rehder (dpa)
Familiennachzug von Flüchtlingen / © Carsten Rehder ( dpa )

Er befürchtet sonst gar weit größere Konsequenzen.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie zu der Forderung, ausreisepflichtigen Migranten die Asylleistungen massiv zurückzufahren, um den Druck zu erhöhen, Deutschland schneller wieder zu verlassen? 

Klaus Hagedorn (Leiter der Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln): Ganz knapp gesagt: Nichts. Es gibt jetzt schon gravierende Einschränkungen für Asylbewerber, die ausreisepflichtig sind und keine dauerhafte Bleibeperspektive haben. Hier geht es im Gesetz darum, die Leistungen, die das Asylbewerberleistungsgesetz vorsieht, für die ersten 15 Monate des Aufenthalts einzuschränken. Darüber hinaus gibt es weitere Einschränkungsmöglichkeiten nach Gesetzeslage, wenn Flüchtlinge ihrer Mitwirkungspflicht auch bei der Identitätsfeststellung nicht nachkommen. Der Gesetzgeber hat also ohnehin schon dafür gesorgt, dass solche Möglichkeiten bestehen. Eine weitere Verschärfung ist völlig unangemessen.

DOMRADIO.DE: Abgelehnte Flüchtlinge sollten den CSU-Forderungen nach nur noch Sachleistungen bekommen und Geldleistungen in sehr geringem Umfang. Warum sind Sachleistungen für Sie nicht akzeptabel?

Hagedorn: Zum einen bietet das Asylbewerberleistungsgesetz auch jetzt schon die Möglichkeit, Sachleistungen zu geben. Bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften bestimmt die örtlich zuständige Behörde über die Form der Leistung aufgrund der örtlichen Umstände. Die Möglichkeit besteht schon, man muss sie nicht nochmal extra fordern. Sachleistungen sind aus unserer Sicht unangemessen, weil sie zum Beispiel die kulturell bedingten Essgewohnheiten in Gemeinschaftsunterkünften nicht berücksichtigen können. Und es ist völlig klar, dass Sachleistungen die wesentlich teurere Variante im Vergleich zu Geldleistungen sind.

DOMRADIO.DE: Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sprach davon, dass für Migranten Anreize weiter reduziert werden müssten, nach Deutschland zu kommen. Glauben Sie, dass die Höhe der Sozialleistungen ein entscheidender Faktor für Flüchtlinge ist, Deutschland als Zielland auszuwählen?

Hagedorn: Dieses Argument begegnet mir, seitdem ich 1992 bei der Caritas als Flüchtlingsberater angefangen habe. Auch damals begegneten mir Argumente, man müsste die Leistungen und die Wohnraumvergabe so ausgestalten, dass Anreize verhindert werden. Lebensbedingungen sollten so schlecht wie möglich gestaltet werden. Man erhoffte sich, dass durch Mund-zu-Mund-Propaganda in den Herkunftsländern die Mär verbreitet werde, dass ein Aufenthalt in Deutschland unbequem sei. Das funktioniert einfach nicht, weil es an der Lebensrealität der Geflüchteten vollkommen vorbei geht. Und ich kenne nicht einen Fall, wo Menschen sagen, dass sie allein wegen der Leistungen hierher gekommen sind.

DOMRADIO.DE: Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kritisierte das Konzept als integrationspolitisch falsch und verfassungsrechtlich fragwürdig. Das Institut befürchtet, dass sich durch solche Änderungen Schwarzarbeit und Kriminalität erhöhen. Sind das auch Ihre Sorgen?

Hagedorn: Ja, die teile ich vollständig. Wenn weitere Leistungseinschränkungen passieren, sind Menschen, die unterhalb des vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Existenzminimums leben müssen, gezwungen, sich auf anderen Wegen Möglichkeiten und Mittel zu beschaffen. Im Gegensatz dazu wäre es angemessener, Rückkehranreize zu verstärken und dafür bestimmte Angebote, die hier in Deutschland schon stattfinden, deutlich auszubauen.

DOMRADIO.DE: Was fordern Sie, wie sollte die Politik mit Asylbewerbern und ihren Sozialleistungen umgehen?

Hagedorn: Ich fände es schon prima, wenn wir diese ständige Treiberei von alten Themen bei passenden politischen Gegebenheiten aufhören würden. Ich fordere: Schluss mit den Einschränkungen in der Leistungsgewährung. Das ist völlig unangemessen. Ich fordere die Politiker dazu auf, erstmal in den Gesetzestext zu schauen und nach den Möglichkeiten, die dort bestehen, Ausschau zu halten. Ich plädiere für einen Ausbau der Anreize für eine freiwillige Rückkehr. Und dazu gehört meiner Meinung nach auch die Möglichkeit für geflüchtete Menschen ohne Bleibeperspektive, die deutsche Sprache zu erlernen und möglicherweise auch ein Praktikum oder eine Basisqualifizierung in interessanten Berufen absolvieren zu können.

DOMRADIO.DE: Einer der Hauptstreitpunkte zwischen Union und SPD ist auch die Frage, ob Flüchtlinge ihre Kernfamilie, also die engsten Verwandten nachholen dürfen. 2016 hatte nämlich die Regierung diese Möglichkeit für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus ausgesetzt. Die Union will dieses Moratorium beibehalten, die SPD-Führung will es kippen. Dafür, dass der Streit so groß ist, ist die Zahl potentieller Nachzügler aber überschaubar, oder?

Hagedorn: Absolut. Ich hab mal recherchiert und es scheint sich um 177.000 Personen zu handeln, die in Deutschland mit dem sogenannten subsidiären Schutzstatus ausgestattet sind und denen durch die gesetzliche Neuregelung vor zwei Jahren die Möglichkeit des Familiennachzugs verwehrt worden ist. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass im Schnitt, und das wird so nicht eintreten, jede Person, zwei Personen nachholt, haben wir es immer noch mit einer wirklich überschaubaren Anzahl von Leuten zu tun.

Und alle Fachleute sagen ja, dass die Einheit von Familie integrationsfördernd ist. Da stellt man sich schon die Frage, was will denn die Bundesregierung oder was will CDU/CSU in den Sondierungsgesprächen erreichen, wenn klar ist, dass man damit Integration verhindert.

DOMRADIO.DE: Die in der Flüchtlingspolitik einst heftig zerstrittenen Schwesterparteien CDU und CSU haben sich auf ein "Regelwerk zur Migration" geeinigt. Sie wollen, dass im Jahr höchstens 200.000 neue Asylbewerber kommen. Ist das realistisch?

Hagedorn: Schwer zu sagen. 2017 kamen deutlich unter 200.000 Asylbewerber nach Deutschland. Ob das für die Zukunft auch gilt, ist gar nicht zu beantworten. Es sitzen noch sehr viele Geflüchtete in der Türkei, in Griechenland und in anderen EU-Ländern, die nach Deutschland kommen wollen. Die zum Teil auch über den Familiennachzug das Recht haben, also wenn diese neue Regelung kommt, nach Deutschland zu kommen. Ob dann die Zahl von 200.000 zu halten sein wird, stellt sich wirklich infrage. Dabei ist auch nicht bedacht, wie sich die Konfliktherde in der Welt entwickeln. Und welche Migrationsmöglichkeiten die Menschen dann finden, ins sichere Europa zu gelangen.

DOMRADIO.DE: Nach diesem "Regelwerk zur Migration" von CDU und CSU sollen auch mehr Staaten zu sogenannten sicheren Herkunftsländern erklärt werden – Marokkko und Tunesien zum Beispiel. Was halten Sie davon?

Hagedorn: Das ist eine Frage, die ich persönlich für nicht so relevant halte. Menschen aus diesen Ländern haben nach den gesetzlichen Möglichkeiten dennoch das Recht, ihren individuellen Asylgrund hier vorzutragen. Die einzige Einschränkung – und natürlich ist die auch gravierend, ich will das gar nicht vernachlässigen – ist, dass die Integrationsmöglichkeiten für diese Menschen weiter beschränkt werden. Das ist eine Augenwischerei gegenüber der Bevölkerung, weil die Relevanz marginal ist.

Das Interview führte Aurelia Rütters.

 

Quelle:
DR