Krankenkassen zögern mit Zusendung von Organspende-Ausweisen

Holpriger Start

Mehr Organspenden sind das Ziel der Reform des Transplantationsgesetzes. Nach der ab dem 1. November geltenden "Entscheidungslösung" werden künftig alle Bürger über 16 Jahre regelmäßig über ihre Spendenbereitschaft befragt. Doch dem Gesetz wird ein holpriger Start beschert.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Die großen Krankenkassen wie die Barmer GEK und die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) wollen ihren Mitgliedern derzeit noch keine gesonderten Informationen und keinen Spenderausweis zuschicken, wie es die Reform des Gesetzes vorsieht. Der Grund: die Verunsicherung, die die Organspendeskandale in Regensburg, Göttingen und München bei der Bevölkerung ausgelöst haben.



"Wir wollen nicht das viele Geld ausgeben, ohne den Versicherten auf ihre berechtigten Fragen Antwort geben zu können", sagt der Pressesprecher der AOK, Udo Barske, auf Anfrage. Erst müsse die Politik Konsequenzen aus den Skandalen ziehen. Einen Termin für die Informationsversendung an alle Mitglieder hat die AOK mit ihren 24 Millionen Versicherten deshalb noch nicht festgelegt. Barske verweist darauf, dass das Gesetz den Kassen ein Jahr Zeit dazu gibt. Und er betont, dass alle Kassen bereits umfangreich über das Thema, etwa auf ihren Webseiten oder in ihren Mitgliedermagazinen, informieren.



Ähnlich sieht das auch die Barmer, die 7,6 Millionen Versicherte über 16 Jahren anschreiben muss. "Nach den Skandalen ist das ganze Organspende-System in der Krise", meint Pressesprecher Kai Behrens. Man müsse die Vorgänge aufklären, brauche mehr Transparenz im Organspenderverfahren und eine strikte Kontrolle. Die Planungen für die Versandaktion laufen nach seiner Darstellung aber auf Hochtouren. Angedacht sei das Frühjahr.



"Das Wissen der Bürger ist sehr gering"

Genau umgekehrt argumentiert die Techniker Krankenkasse (TK), die ähnlich viele Versicherte anschreiben muss. "Gerade weil die Verunsicherung so groß ist, wollen wir zeitnah noch in diesem Jahr informieren", kündigt die zuständige Pressereferentin Michaela Hombrecher an. Sie verweist auf Erkenntnisse einer Kampagne für mehr Organspenden, die die TK seit dem Frühjahr mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchführt: "Das Wissen der Bürger über die Organspende ist sehr gering", analysiert Hombrecher. "Den meisten ist nicht einmal klar, dass man auf dem Spenderausweis auch sein Nein zur Organspende dokumentieren kann." Auch, dass vor einer Entnahme erst in einem komplizierten Verfahren der Hirntod festgestellt werden müsse, sei weithin unbekannt.



Auf schnelle Information dringt auch das Bundesgesundheitsministerium. Gerade in Zeiten der Verunsicherung sei die Aufklärung der Bevölkerung ganz wichtig, sagt ein Sprecher der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Kassen sollten ihrer Verantwortung nachkommen; sie seien an die rechtlichen Vorgaben gebunden.



Drei von Vier stehen der Organspende positiv gegenüber

Die Ende Mai vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossene Neuregelung zur Organspende sieht vor, dass künftig alle Krankenversicherten ab 16 Jahren regelmäßig befragt werden sollen, ob sie nach ihrem Tod zur Organspende bereit wären. Hintergrund ist, dass Deutschland mit 14,7 Organspendern pro einer Million Einwohner europaweit im hinteren Drittel liegt. Die Zahl der Spender und der gespendeten Organe stagniert seit langem, während 12.000 Menschen auf der Warteliste händeringend auf ein neues Organ warten. Laut Deutscher Stiftung Organtransplantation werden jeden Tag durchschnittlich 11 Organe übertragen; gleichzeitig sterben drei Menschen pro Tag, die auf der Warteliste stehen.



Dabei weisen Umfragen darauf hin, dass die Spendenbereitschaft der Bundesbürger theoretisch hoch ist: Rund 75 Prozent stehen der Organspende positiv gegenüber. Aber nur etwa 20 Prozent haben ihre Entscheidung nach eigenen Angaben in einem Organspendeausweis festgehalten. In den Krankenhäusern entscheiden in neun von zehn Fällen die Angehörigen über eine Organspende, weil der Verstorbene seine Entscheidung nicht mitgeteilt oder dokumentiert hat.