Am kommenden Sonntag, dem 18. Mai, finden in Portugal vorgezogene Neuwahlen statt. Nach nur knapp einem Jahr an der Regierung geriet der konservative Ministerpräsident Luís Montenegro aufgrund wirtschaftlicher Interessenkonflikte durch eine Beratungsfirma seiner Familie politisch in Bedrängnis und verlor einen Misstrauensantrag im Parlament.
Erst vor einem Jahr musste der vorherige sozialistische Ministerpräsident Antonio Costa nach Korruptionsvorwürfen das Feld räumen. Nun müssen die Portugiesen bereits zum dritten Mal in drei Jahren an die Urnen. Die Wahlkampfdebatten drehen sich immer wieder um gegenseitige Korruptionsvorwürfe. Aus diesem Grund hat die Portugiesische Bischofskonferenz (CEP) bereits mehrmals die politischen Parteien zu einem "ehrlichen und aufschlussreichen Wahlkampf" aufgerufen, der über "persönliche oder parteipolitische Interessen" hinausgeht.
Hoffnung auf Regierungsstabilität
"Es besteht dringender Bedarf an einem Dialog zwischen den wichtigsten politischen Kräften, damit diese Parlamentswahlen zu einer Regierungsstabilität führen können, die die Hoffnung der Bürger wiederherstellt und dem Primat des Gemeinwohls, der sozialen Gerechtigkeit und der Fürsorge für die Schwächsten gerecht wird", stellte Manuel Barbosa, Sekretär und Sprecher der Bischofskonferenz im Gespräch mit dem KNA-Hintergrund klar.
Portugal sei derzeit mit erheblichen sozialen Problemen konfrontiert, die schwerwiegende Auswirkungen auf das Familienleben haben und deshalb brauche das Land endlich eine stabile Regierung und einen politischen Dialog zwischen allen Parlamentsparteien, damit diese sozialen Probleme angegangen werden können, so der Sprecher der Portugiesischen Bischofskonferenz. Portugal gilt nach wie vor als ärmstes Land Westeuropas. 20 Prozent der rund 10,6 Millionen Portugiesen leben an der Armutsgrenze.
Eine jüngste Studie der portugiesischen Caritas zeigt eine starke Zunahme sozialer Ausgrenzung und Rückschritte bei der Armutsbekämpfung. "Gerade mit Blick auf Ernährung, Zugang zu Wohnraum und Gesundheitsversorgung nehmen die Probleme zu, die soziale Ungleichheiten verschärfen und die Lebensbedingungen erschweren", erklärte Manuel Barbosa.
Wohnungskrise trifft große Teile der Gesellschaft
Vor allem das Fehlen bezahlbaren Wohnraums steht im Zentrum des Wahlkampfes in Portugal. Der Grund: "Die Wohnungskrise hat sich im vergangenen Jahr nochmals verschärft und trifft nicht nur wie bisher die Schwächsten der Gesellschaft wie Rentner, Einwanderer, junge Studenten oder obdachlose Menschen, sondern zunehmend auch generationen- und klassenübergreifend die Mittelschicht", versicherte Luís Mendes. Der Geograph forscht an der Universität Lissabon zu Gentrifizierung und verfolgt das Wohnraumproblem seit Jahren. "In einem Niedriglohnland wie Portugal, in dem die meisten gerade einmal 1000 Euro im Monat verdienen, können sich immer weniger Menschen noch eine würdige Wohnung leisten", sagte Mendes, "in den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Obdachlosen deshalb um mehr als 75 Prozent gestiegen".
Zwar habe die konservative Regierung von Ministerpräsident Montenegro eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, um den Wohnungsmangel in Portugal zu bekämpfen. So verpflichtete man sich, mehr Sozialwohnungen zu bauen und junge Menschen beim Kauf ihrer ersten Immobilie steuerlich zu unterstützen. Doch für die sozialistische Opposition gingen die Maßnahmen nicht weit genug und die Konservativen verfügten nur über eine schwache Minderheitsregierung, wodurch es kaum Fortschritte gab.
Massive Probleme bei Gesundheitssystem
Zu Rückschritten kam es sogar bei einem anderen großen sozialen Problem in Portugal - dem maroden Gesundheitssystem, versicherte Joana Bordalo, Vorsitzende des portugiesischen Ärztegewerkschaftsverbands FNAM. Immer länger werdende Wartelisten für Facharzttermine sind in Portugal das geringste Problem. Aufgrund der chronischen Unterfinanzierung und des damit verbundenen Ärztemangels können fast 1,6 Millionen Portugiesen, knapp 18 Prozent der Bevölkerung, nicht einmal ein Hausarzt zugewiesen werden.
"Der Fachkräftemangel hat sich dramatisch verschärft, da keine wirksamen Maßnahmen ergriffen wurden. Das Gesundheitsministerium unter der Führung von Ana Paula Martins bringt das nationale Gesundheitssystem derzeit in die fragilste Lage seit seiner Gründung", sagte die Gewerkschaftspräsidentin. Portugals Ärzte sind verärgert. Die Ideen sämtlicher Parteien gehen am von den Ärzten geforderten Weg vorbei: mehr Investitionen in das staatliche Gesundheitssystem.
Die Konsequenzen seien bereits zu spüren, so Joana Bordalo: "die Zahl der Menschen ohne zugewiesenen Hausarzt ist im vergangenen Jahr noch einmal gestiegen. Immer mehr Notdienste mussten schließen und immer mehr Mediziner wechseln aufgrund schlechter Bezahlung und wegen einer Überbelastung durch zu viele Überstunden und zu viele Patienten in den privaten Gesundheitssektor".
Migrationsdebatte soll ablenken
Anscheinend um von solchen hausgemachten Problemen abzulenken und vor allem den Rechtspopulisten der Chega-Partei den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben die konservativen Wahlfavoriten der Allianza Democratica von Ministerpräsidenten Montenegro im Wahlkampfendspurt nun das "Migrationsproblem" für sich entdeckt. Medienwirksam kam es vergangene Woche zur Abschiebung von 18.000 illegalen Einwanderern. Chega-Chef André Ventura, eine Art portugiesischer Donald Trump, stellte mit Blick auf die illegale Migration sogar ein "Programm zur Reinigung Portugals" vor. Die Rechtspopulisten dürften ihre Position als drittstärkste Parlamentsfraktion ausbauen.
In Portugal mit seinen knapp 10 Millionen Einwohnern leben derzeit über 1,5 Millionen Einwanderer. "Die Aufnahme von Migranten mit den sich daraus ergebenden Herausforderungen in einem solchen Szenario ist eine Realität, die im täglichen Leben Portugals sehr präsent ist. Deshalb ist es notwendig, Kriterien und Voraussetzungen für eine legale Einwanderung zu definieren", erklärt Bischofskonferenzsprecher Manuel Barbosa. Dabei werde die Rolle der Kirche immer darin bestehen, "viele Menschen aufzunehmen, zu integrieren, zu begleiten und ihnen beim Wiederaufbau ihres Lebens zu helfen. Viele arbeiten unter prekären Bedingungen, leben in entwürdigenden Unterkünften und haben Schwierigkeiten, ihre Situation zu regeln, was ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung stark beeinträchtigt".
In diesem Kontext ruft er vor allem die Katholiken des Landes zur Stimmenabgabe am Sonntag auf. "Im Licht des Evangeliums und der Soziallehre der Kirche haben die Christen eine erhöhte Verantwortung sich am politischen Leben und am Aufbau der Gesellschaft zu beteiligen, damit diese gerechter und brüderlicher wird".