Konservative Netzwerker gab es schon bei Synoden und Konzil

Spaltung oder nur ein Dissens in Gemeinschaft?

Rund um den Synodalen Weg in Deutschland und die anstehende Weltsynode geistert ein Drohbegriff erneut durch die Kirchenbänke. Er lautet Spaltung. Zwei politische Lager, die sich hart gegenüberstehen, gab es schon beim Konzil.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Papst Franziskus mit Bischöfen / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus mit Bischöfen / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Die Parallelen scheinen greifbar: Wenn Papst Franziskus kurz vor der am 4. Oktober beginnenden Weltsynode reaktionäre katholische Gruppierungen ausmacht, etwa in den USA, die die lebendige Lehre der Kirche durch eine tote, rückwärtsgewandte Ideologie ersetzten, dann erinnert das durchaus an jene kirchenpolitischen Frontstellungen, wie es sie vor und während des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) gab - und wie es sie eigentlich tendenziell immer schon gibt.

Katholische Reformer und Konservative können sich sehr stark darin unterscheiden, was sie für den richtigen oder den tödlichen Kurs der Kirche in einer rasant sich verändernden Welt halten: vorwärts - oder zurück zu den Wurzeln? Oder beides gar?

In diesen Tagen beginnt mit der Weltsynode im Vatikan nicht nur das vielleicht wichtigste Reformprojekt in der gut zehnjährigen Amtszeit von Papst Franziskus. Es jährt sich auch zum 60. Mal der Beginn der Zweiten Sitzungsperiode dieses Konzils - zu dem sich, ähnlich wie heute, unter katholischen Meinungsführern eine quasi-oppositionelle Gruppe bildete.

Letzte Protagonisten tot

Mit dem Tod von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. 2022 und Hans Küng 2021 sind auch die letzten bekannten Protagonisten des Konzils verschwunden. Das Konzil ist damit in gewisser Weise endgültig Geschichte - auch wenn seine Beschlüsse die katholische Weltkirche heute durch und durch prägen.

Ebenso scheint ein weiteres Kapitel geschlossen, das noch die Amtszeit des deutschen Papstes (2005-2013) mitprägte: der Versuch einer Versöhnung mit der traditionalistischen Piusbruderschaft, die die Reformen des Konzils bis heute ablehnt.

Letztlich ist die Bruderschaft Erbin einer Gruppierung, die auf eine Initiative des späteren Gründers der Piusbrüder zurückgeht, Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991). Vor 60 Jahren - am 2. Oktober 1963, drei Tage nach Beginn der zweiten Konzilssession - traf sich in Rom eine lose Gruppe konservativer Konzilsväter und Theologen, die den als modernistisch empfundenen Geist der Konzilsmehrheit ablehnten.

Größeren Einfluss gewinnen

In dieser Sitzung übertrugen sie den Vorsitz einstimmig an Erzbischof Lefebvre. Ihr Ziel war, durch eine Art Fraktionsbildung Gleichgesinnter größeren Einfluss auf die Entstehung der Dokumente zu gewinnen und unentschiedene Konzilsväter von den eigenen theologischen Argumenten zu überzeugen.

Werden und Entwicklung des Konzils hatte Lefebvre als Mitglied der Vorbereitungskommission von Beginn an intensiv verfolgt - und er war keineswegs einverstanden mit dessen Kurs in Richtung Ökumene, Religionsfreiheit, Liturgiereform und einer stärkeren Betonung der bischöflichen Kollegialität gegenüber dem Primat des Papstes.

Dass der Generalobere des Spiritanerordens damit keineswegs allein stand, zeichnete sich bereits während der ersten Sitzungsperiode des Konzils (Oktober bis Dezember 1962) ab. Doch weder damals noch im Oktober 1963 existierte bereits jener Name, den sich der Kreis später gab: "Coetus Internationalis Patrum", lateinisch schlicht "internationale Gruppe von (Konzils-)Vätern".

Denkfabrik der "Fortschrittlichen"

Auch andere Gruppen von Konzilsteilnehmern trafen sich regelmäßig zu Arbeitssitzungen. So galten etwa die Treffen der Deutschsprachigen, in denen der Stern der jungen, progressiven Theologen Ratzinger und Küng aufging, als Denkfabrik der "Fortschrittlichen" beim Konzil. Die Gründungsidee des konservativen "Coetus" war zunächst lediglich ein theologischer Studienkreis. Die fortschreitende Organisiertheit in Richtung einer Fraktion ergab sich erst im weiteren Verlauf der Konzilssitzungen.

Zu den rund 250 Mitgliedern des Coetus zählten neben Lefebvre und dem brasilianischen Bischof Antonio de Castro Mayer (1904-1991) - der 1988 zusammen mit Lefebvre wegen Ungehorsams exkommuniziert wurde - diverse einflussreiche Kardinäle der Weltkirche. Unter ihnen waren etwa der New Yorker Erzbischof Francis Spellman oder der Erzbischof von Genua und Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, Giuseppe Siri - der später Lefebvre bis zuletzt beschwor, nicht den Weg ins Schisma zu wählen.

Starke Unterstützung

Unterstützung genoss die Gruppe vom Leiter des Heiligen Offiziums [Vorgängerin der vatikanischen Glaubenskongregation], Kardinal Alfredo Ottaviani, und Kardinal Ernesto Ruffini von Palermo, Mitglied des Konzilspräsidiums.

Auf verschiedene Weisen versuchte der Coetus, Einfluss auf den Kurs des Konzils zu nehmen. Vor allem brachte er zahlreiche Änderungsanträge ("Modi") zu den einzelnen Dokumenten ein - die freilich zumeist abgelehnt wurden. War dies der Fall, so verfasste die Gruppe Protestnoten und Rundbriefe an die Konzilsväter mit der Aufforderung, mit "non placet" zu stimmen - sprich das Dokument in Gänze abzulehnen.

Zudem sandte sie Petitionen an Paul VI. (1963-1978), in denen sie etwa eine ausdrückliche Verurteilung des Kommunismus verlangte, ein eigenes Konzilsdokument zur Rolle Marias als "Miterlöserin" oder eine Weihe der Welt an das "Unbefleckte Herz Mariens". Vergeblich beklagte sich die Gruppe über die Anwesenheit protestantischer Beobachter bei den Konzilsberatungen.

Richtung wurde nicht geändert

Die Bilanz des Coetus Internationalis Patrum muss auf gescheitert lauten. Denn seinen Mitgliedern gelang es nicht, die Richtung des Konzils weitergehend zu ändern. Lediglich einige Textstellen wurden in Kompromissformeln modifiziert, eine Fußnote zur Lehre der Kirche über den Kommunismus eingefügt und auf direktes Betreiben des Papstes die Schemata über Religionsfreiheit und Ökumenismus abgemildert.

Der Coetus war eine Gruppe von letztlich unterlegenen Dissidenten. Nach Abschluss des Konzils beharrten sie auf ihrem konservativen Kurs - in Treue zum Papst, wie etwa Siri; oder letztlich (wohl wider Willen) in Ungehorsam, wie Lefebvre und seine Piusbruderschaft.

Eine Chronologie des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965)

28. Oktober 1958

Wahl des Patriarchen von Venedig, Angelo Giuseppe Roncalli, zum Papst. Er gibt sich den Namen Johannes XXIII.

25. Januar 1959

Der neue Papst kündigt vor 17 Kardinälen im Kapitelsaal der Basilika Sankt Paul vor den Mauern überraschend ein Konzil für die Weltkirche an. Ziele seien eine "Erneuerung", "größere Klarheit im Denken" und eine "Stärkung des Bandes der Einheit".

17. Mai 1959

Zweites Vatikanisches Konzil (KNA)
Zweites Vatikanisches Konzil / ( KNA )
Quelle:
KNA