Konrad-Adenauer-Stiftung Jerusalem zur einwöchigen Waffenruhe im Gazastreifen

"Beide Seiten wissen, was auf dem Spiel steht"

Die Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas im Gaza-Streifen hält nun seit einer Woche. Doch der Konflikt ist schließlich nicht aus der Welt. Dr. Michael Borchard, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem, im domradio.de-Interview.

Palästinensisches Mädchen mit Maschinengewehr (dpa)
Palästinensisches Mädchen mit Maschinengewehr / ( dpa )

domradio.de: Israels Präsident Netanjahu hat ja gefordert, die Palästinenser-Regierung möge sich von der Hamas endgültig lossagen. Dann seien auch dauerhafte Friedensprozesse möglich. Wie gestaltet sich das aus Ihrer Perspektive im Augenblick?

Borchard: Das, was sich zurzeit in Israel abspielt, was diese Verhandlungen angeht, ist eine ganz spannende Entwicklung. Denn man muss sagen, auch wenn Netanjahu gefordert hat, die Fatah, die palästinensische Autonomiebehörde müsse sich von der Hamas lossagen, so hat er doch angekündigt, dass man die Einheitsregierung als Verhandlungspartner anerkennt. Und wenn man die Einheitsregierung als Verhandlungspartner anerkennt, dann erkennt man implizit den islamischen Dschihad und die Hamas mit an. Denn sie bilden diese Einheitsregierung ja mit. Das ist eigentlich das Spannende, was sich im Moment abspielt und gleichzeitig das Dilemma für Israel, denn man hat jetzt diese Beiden auf Augenhöhe gesetzt. Das ist das, was Netanjahu allerdings dann natürlich auch in seiner eigenen, ohnehin fragilen Regierung verkaufen muss.

domradio.de: Und wie wird in der israelischen Öffentlichkeit dieser Kurswechsel wahrgenommen?  

Borchard: Dieser Kurswechsel wird in der israelischen Öffentlichkeit wahrgenommen. Man muss jetzt schon sagen, dass die Beliebtheitswerte von Netanjahu sehr negativ sind. Die Regierung ist, wie gesagt, fragil. Die Nationalreligiösen unter dem Wirtschaftsminister Bennett haben schon mehrfach damit gedroht, aus der Regierung auszuscheren. Also, das Ganze ist sehr fragil. Allerdings muss man auch sagen, die große Mehrheit der Menschen, die um den Gazastreifen herum wohnen, insbesondere auch die unmittelbaren Anrainer, sind längst nicht so verhärtet wie man das in Deutschland wahrnimmt. Das sind Menschen, die in erster Linie in Ruhe leben wollen und die auch zu Zugeständnissen an die Palästinenser bereit sind.

domradio.de: Diese sich ankündigende Ruhe wurde gestern Abend durch eine Meldung gestört. Die israelische Regierung will im Westjordanland 400 Hektar palästinensisches Privatland zu israelischem Staatsland erklären. Sind solche Manöver in dieser Zeit nicht äußerst riskant?

Borchard: Natürlich sind solche Manöver riskant. Diese Verstaatlichung des Geländes hat sich schon eine ganze Weile angekündigt. Ich würde das aber auch nicht überbewerten. Denn solche Sticheleien gibt es natürlich auf der anderen Seite auch. Man muss sich ein bisschen anschauen, was sich schon die ganze Zeit unter der Oberfläche im Netz abspielt. Da tobt ein regelrechter Krieg gegen Israel, der auch sehr stark von Behörden aus dem Gazastreifen und aus dem palästinensischen Bereich befeuert wird. Also, diese Nadelstiche gibt es. Ich bin mir aber sehr sicher - auch wenn ich sagen muss, ich bin jetzt etwas mehr als vier Wochen im Land und das ist mein fünfter Waffenstillstand, was ja schon für sich spricht - ich glaube, dass Beide wissen, was letztlich auf dem Spiel steht. Der Gazastreifen ist so zerstört wie nie zuvor und ich glaube, Hamas weiß auch, dass sie letztendlich, das was sie jetzt an Rally-around-the flag-Effekt haben, nämlich dass die Leute Hamas unterstützen, riskiert, wenn es eine weitere bewaffnete Auseinandersetzung gibt. Der Druck zum Frieden ist schon gewachsen.

domradio.de: Eine letzte Frage noch zur Zerstörung im Gazastreifen und auch im Süden Israels: Die Ausmaße sind ja kaum in Worte zu fassen. Wie sieht denn der Wiederaufbau im Augenblick aus?  

Borchard: In Israel hat man immer das Gefühl, sich in dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" zu befinden, wo der Protagonist ein und denselben Tag immer wieder erlebt. Es ist aber völlig neu, dass die Zerstörung so fundamental ist. Es sind 120.000 Menschen obdachlos, 10.000 Menschen verletzt. Was man in Deutschland gar nicht so wahrnimmt, 60 Krankenhäuser, etliche Schulen wurden zerstört. Es gibt eine internationale Organisation, Shelter Cluster, die vermutet, dass nicht nur sechs Milliarden Euro benötigt werden, sondern auch rund 20 Jahre, um Gaza wirklich wieder aufzubauen. Ich glaube, dass das, was wir auch gerade über den Frieden gesagt haben, vor allem auch erfordert, dass der internationale Rahmen sehr stabil gebaut wird. Das kann weder Israel noch kann das die palästinensische Autonomiebehörde selber bewerkstelligen. Hier muss es internationale Hilfe geben, die dann allerdings auch Druck aufbaut, den Friedensprozess langfristig zu gestalten.

Das Gespräch führte Daniel Hauser.


Trauer in Israel (dpa)
Trauer in Israel / ( dpa )

Gaza: Viele Kinder unter den Opfern (dpa)
Gaza: Viele Kinder unter den Opfern / ( dpa )

Zerstörtes Zuhause (dpa)
Zerstörtes Zuhause / ( dpa )
Quelle:
DR