Kongress über 25 Jahre Palliativmedizin

Die Weichen stellen

Es war eine kleine Revolution: Vor 25 Jahren wurde in Köln die erste Palliativstation gegründet. Eine Erfolgsgeschichte, nicht nur für den Pionier. Inzwischen gibt es rund 160 Palliativabteilungen. Dazu kommt eine große Bürgerbewegung, die maßgeblich von den Kirchen unterstützt wird.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Wenn der Bonner Medizinprofessor Eberhard Klaschik an die Gründung zurückdenkt, ist ihm durchaus zum Feiern zumute. "Damals wurde die Palliativmedizin in Deutschland völlig ignoriert. Das war harte Aufbauarbeit, das reinste Klinkenputzen", erinnert er sich. Mittlerweile sieht der frühere Chefarzt am Bonner Malteser-Krankenhaus Deutschland bei der Behandlung und Betreuung sterbenskranker Menschen "europaweit im oberen Drittel".

1999 wurde Klaschik selber Inhaber des bundesweit ersten Lehrstuhls für Palliativmedizin in Bonn. Inzwischen gibt es in der Bundesrepublik fünf Lehrstühle, rund 160 Palliativstationen und 150 Hospize. Dazu kommt eine große Bürgerbewegung, die maßgeblich von den Kirchen unterstützt wird: Rund 80.000 Ehrenamtliche engagieren sich in der Hospizbewegung, damit Sterbenskranke eine gute Schmerzbekämpfung und eine psychologische und spirituelle Begleitung am Lebensende erhalten.

Zeit für eine Bilanz
Grund zur Freude, aber auch Zeit für eine Bilanz. Das ist die Botschaft, die der am Donnerstag in Wiesbaden begonnene 7. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) aussenden will. Bis Samstag beraten 1.500 Ärzte, Pfleger, Psychologen, Seelsorger und Ehrenamtliche über die Weiterentwicklung von Palliativmedizin und Hospizbewegung und eine engere Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Gruppen.

Einig sind sich alle, dass der Bedarf an Palliativmedizin zunimmt, weil die Deutschen immer älter werden und damit beispielsweise auch die Zahl der Krebserkrankungen steigt. Und dass der flächendeckende Ausbau palliativmedizinischer Angebote dringlich ist, wenn man der Diskussion um die Zulassung von aktiver Sterbehilfe und der Beihilfe zur Selbsttötung wirksam begegnen will.

"Wir haben erst die Hälfte des Weges zu einer flächendeckenden Palliativmedizin in Deutschland zurückgelegt", räumte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krebshilfe, Gerd Nettekoven, am Donnerstag in Wiesbaden ein. In Großräumen wie Köln, Bonn und Aachen herrschten inzwischen "paradiesische Zustände". Bundesweit aber könnten nicht alle Patienten, die dies wünschten, palliativmedizinisch versorgt werden. Auch Klaschik sieht noch Probleme: "Palliativstationen und Hospize decken rund ein Drittel des Bedarfs", schätzt er. Besonders im ambulanten Bereich gebe es immer noch erhebliche Versorgungslücken.

Sinnvolle Strukturen aufbauen
Nach Einschätzung der Vorsitzenden des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV), Birgit Weihrauch, steht die Palliativmedizin derzeit vor einem Wendepunkt. Sie verweist auf den letzten großen Erfolg: Im Rahmen der Gesundheitsreform hatte die Bundesregierung beschlossen, den Aufbau einer "spezialisierten ambulanten Palliativversorgung" zu ermöglichen, damit sterbende Patienten auch in schweren Fällen zu Hause behandelt werden können. Dazu sollen ihnen unter anderen Teams aus Ärzten, Pflegern, Psychologen und Seelsorgern zur Seite stehen.

Jetzt gehe es darum, sinnvolle Strukturen aufzubauen, mahnt Weihrauch. Die Frage ist beispielsweise, wie in städtischen und ländlichen Regionen eine gleichwertige Versorgung ermöglicht wird, ob es genügend Hilfen für Kinder und alte Menschen gibt, insbesondere auch in Pflegeeinrichtungen.

Auch in Forschung und Lehre zeichnen sich Fortschritte ab: Der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, verwies darauf, dass sich Ärzte mittlerweile durch eine Zusatzqualifikation in Palliativmedizin spezialisieren können. Die Deutsche Krebshilfe kündigte die Schaffung von vier weiteren Professuren für Palliativmedizin an. Aber auch hier gibt es eine Kehrseite der Medaille: DGP-Vizepräsident Raymond Voltz warnte in Wiesbaden davor, dass sich die Palliativmedizin zu sehr auf die körperlichen Symptome der Sterbenskranken konzentrieren könnte. Das könne zu Lasten der psychischen und spirituellen Bedürfnisse der Patienten gehen.