Kommentar zur Anti-Papst-Polemik des Chrismon-Chefredakteurs

Ökumenisches Störfeuer

Mit einem polemischen Essay hat der Chefredakteur des evanglischen Monatsmagazins "chrismon", Arnd Brummer, die katholische Kirche und den Papst angegriffen.

DOMRADIO.DE-Redakteur Jan Hendrik Stens (DR)
DOMRADIO.DE-Redakteur Jan Hendrik Stens / ( DR )

domradio.de-Redakteur Jan-Hendrik Stens meint dazu: Da knabbert wohl einer am Verlust seiner Kindheit.

Im Vorfeld des Papstbesuchs werden zurzeit viele Erwartungen geäußert, die an Papst Benedikt XVI. gerichtet sind. Von evangelischer Seite erhoffen sich einige Christen ein wohlwollendes Wort zu den positiven Elementen der Reformation oder einen Durchbruch in Fragen "gemeinsames Abendmahl" (resp. Eucharistie). Doch seit gestern macht der Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung chrismon mit dem, sein neues Buch bewerbenden Essay "Unter Ketzern" auf sich aufmerksam und veranstaltet dadurch ein ökumenisches Störfeuer, wie es im Herbst 2009 noch Thies Gundlach mit einem internen Papier innerhalb der EKD getan hat. Die Wogen von damals sind nun geglättet, Gundlach im Sommer vergangenen Jahres befördert worden, und eigentlich könnte man jetzt wieder versuchen, sich auf die Gemeinsamkeiten wie die Verkündigung des Glaubens an den dreifaltigen Gott zu konzentrieren.

Wir leben glücklicherweise in einer Gesellschaft, in der die Wahl der Religion oder Konfession einem jeden von uns nach seinem Gewissen freigestellt ist. Insofern möchte ich den autobiographischen Ausführungen des in den 80er Jahren zum Protestantismus übergetretenen Arnd Brummer erst einmal nichts entgegnen, was seine persönliche Lebensentscheidung in Frage stellen könnte. Auch kann ich manch negative Erfahrungen mit zu sehr auf den Priester fixierter katholischer Liturgie nachvollziehen, wenn der Gemeinde mit einem "Wir wollen jetzt …" zugemutet wird, den persönlichen liturgischen und kirchenpolitischen Vorstellungen des Geistlichen zu folgen. Wo ich jedoch entschieden widersprechen möchte, ist der letzte Abschnitt, in welchem der chrismon-Chefredakteur jenen Glauben auf merkwürdig plumpe Art und Weise angreift, zu dem ich mich Sonntag für Sonntag bekenne.

Ich weiß zwar nicht, mit welcher Form des katholischen Glaubens Arnd Brummer aufgewachsen ist. Eine "überzogene, vergötzende Marienfrömmigkeit, einen Reliquien- und Heiligenkult, die seltsame Logik, dass man im Gespräch mit Gott Heilige als Fürsprecher benötige", alles das habe ich in meiner Kindheit nicht erlebt und nichts davon ist römische Glaubenslehre. Eigenartigerweise scheint der Autor des Textes einen gewissen Ersatz für den Verlust seiner Kindheit zu benötigen, zieren seinen Artikel doch zahlreiche "Heiligenbildchen" wie zum Beispiel das einer Dorothee Sölle oder eines Martin Luther. Vor 100 Jahren wären es wohl Kaiser Wilhelm II. und Otto von Bismarck gewesen, wie 1928 noch Paul von Hindenburg auf der großen Halberstädter Domglocke als Hl. Georg verkleidet den Kampf mit dem Bösen aufnahm.

Hier und da schneidet der Text sicherlich diskussionswürdige Punkte an, um sie aber dann in absoluter Polemik untergehen zu lassen. Und letztlich zeichnet er - ohne es zu wollen - ein ganz deutliches Bild eines dem absoluten Relativismus verfallenden Protestantismus, der sich an der Moderne orientiert und nicht an den Glaubensgrundsätzen, die Brummer selbst nur zum Teil verstanden zu haben scheint.

Aufgeklärte Katholiken verzweifeln laut Brummer an den dogmatischen Verlautbarungen des "unfehlbaren Lehrgebäudes des Papsttums". Das heißt im Umkehrschluss, dass die Katholiken, die der kirchlichen Lehre folgen, dumm und unaufgeklärt sind. Diese Geißlersche Rhetorik ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht all derer, die vor allem in anderen Ländern leben, zu einem Großteil für ihren Glauben verfolgt werden und sich einfach nur auf den Besuch aus Rom freuen.

Kirche global und über den deutschen Tellerrand hinaus zu denken, scheint ein Desiderat des Brummerschen Essays zu sein. Und so erscheint mir die Bemerkung, der "römische Apparat" hetzte "immer deftiger gegen die Protestanten" wie ein Wahrnehmungsdefizit oder es fragt sich, was denn damit genau gemeint sein kann. Etwa die Verweigerung, beim Protestantismus von einer "Kirche" zu sprechen? Wer einmal "Lumen Gentium" gelesen hat, wird feststellen, dass es bezüglich der Definition von "Kirche" einen Dissens zwischen den Konfessionen gibt. Und "Kirche nicht im eigentlichen Sinn" bedeutet noch lange nicht, dass dies die moralisch schlechteren Christen sein müssen.

In die persönliche Überzeugung eines Arnd Brummer möchte ich gar nicht reinreden, auch nicht in seinen Dank an den Herrn, der "sich seines Knechtes Joseph Ratzinger bediente", um ihm "den Weg in die neue Heimat zu weisen". Diese Lebensentscheidung respektiere ich, wenngleich ich die von Brummer umschriebenen blühenden protestantischen Landschaften nicht so recht erkennen kann. Aber die in diesem Bekenntnis enthaltenen plumpen Angriffe auf die katholische Kirche, die auch noch ein defizitäres Verständnis ihrer Lehre vorweisen, gehen mir dann doch zu sehr unter die Gürtellinie, zumal der Zeitpunkt kurz vor dem Papstbesuch bewusst gewählt zu sein scheint. Ich werde mich mal in Rom erkundigen, ob das Lesen dieses Textes nicht zumindest einen Teilablass erwirkt.

Hintergrund
In der chrismon-Titelgeschichte für September schreibt Brummer, aufgeklärte Katholiken verzeifelten an den dogmatischen Verlautbarungen aus Rom. Brummer, der vor mehr als 20 Jahren von der katholischen zur evangelischen Kirche übertrat, lobte die Streitkultur in seiner neuen konfessionellen Heimat. Dieser Streit sei "besser, als sich als Schaf zu fühlen und einem Oberhirten hinterherzutraben, der allein zu wissen beansprucht, wo es hingehen soll." In den katholischen Gemeinden habe das evangelische Modell, sich der Moderne zu stellen, die katholische Kirche "längst in der Tiefe erfasst".

Die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes kritisierte Brummer scharf. Diese Idee stehe außerhalb des Lebens wie ein Leuchtturm außerhalb des Ozeans. "Es kümmert ihn nicht, wenn ein Boot absäuft und ein anderes an den Klippen des Lebens zerschellt." Christsein hingegen heiße, mit im Boot zu sitzen gemeinsam mit den anderen nach Lösungen zu suchen, "besonders dann, wenn der Sturm aufkommt."

Der evangelische Publizist warf Papst Benedikt XVI. vor, mit seinem Kampf gegen die "Diktatur des Relativismus" eine rhetorische Scheindialektik zu betreiben. Schon als der damalige Kardinal Ratzinger in einem Debattenbeitrag die"dem Zeitgeist hinterherhastenden" Modernisten der fest im Glauben und in der Nachfolge Jesu verwurzelte katholische Kirche gegenüberstellte, habe ihn das so erzürnt, dass er beschlossen habe, evangelisch zu werden. Rückblickend schreibt Brummer nun, er danke Gott, dass dieser sich "seines Knechtes Joseph Ratzinger" bedient habe, um ihm den Weg in die evangelische Kirche zu weisen.

Der chrismon-Titel zu Brummers Essay lautet "...und tschüss! Wie ein Katholik evangelisch wurde. Und heimisch an Bord des Schiffes, das sich Gemeinde nennt." Das evangelische Magazin chrismon wird herausgegeben von Landesbischof Johannes Friedrich, dem EKD-Ratsvorsitzenden Präses Nikolaus Schneider, Präses Katrin Göring-Eckardt sowie der ehemaligen Landesbischöfin Margot Käßmann.