Können die Kirchen zur Sicherheit in Europa beitragen?

"Es gibt eine Perspektive"

Seit Jahrzehnten gab es keinen Krieg in Europa. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat dieses Sicherheitsgefühl geändert. Können die Kirchen einen Beitrag zur Sicherheit in Europa leisten? Ja, sagt Europa-Politiker Daniel Freund.

Ukraine, Butscha: Zwei ukrainische Soldaten gehen auf einer Straße, die übersät ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen / © Rodrigo Abd (dpa)
Ukraine, Butscha: Zwei ukrainische Soldaten gehen auf einer Straße, die übersät ist mit zerstörten russischen Militärfahrzeugen / © Rodrigo Abd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es war bis vor kurzem die Rede vom Wandel durch Handel. Deutschland hat fleißig vor allem Energie mit Russland gehandelt und irgendwie gehofft, dass sich Putin Europa gegenüber friedlich verhalten würde. War das eine Fehleinschätzung?

Daniel Freund / © Dominic Heidl  (privat)
Daniel Freund / © Dominic Heidl ( privat )

Daniel Freund (Mitglied des Europäischen Parlaments und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen): Offensichtlich ja. Viele gingen davon aus, dass er so einen Krieg nicht anfangen würde. Da haben sich alle, die das dachten, getäuscht.

Er hat es trotzdem gemacht. Trotz der Abhängigkeiten, trotz der erheblichen Auswirkungen, die das jetzt auf unsere Handelsbeziehungen, auf die Wirtschaft in Russland hat. Im Grunde gegen jegliche wirtschaftliche Logik oder auch jede menschliche Logik hat er diesen Krieg angefangen. Das heißt, nur Handel allein reicht nicht, um den Krieg zu verhindern.

DOMRADIO.DE: Deutschland hat sich bei den Waffenlieferungen sehr zögerlich verhalten. Wie ist das bei Ihnen im Europäischen Parlament aufgenommen worden?

Freund: Das ist vor allen Dingen bei den Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa nicht gut angekommen. Da sind Ängste aufgekommen, ob Deutschland am Ende ein verlässlicher Partner ist, wenn es um die Sicherheit in Europa geht, wenn es um die Solidarität auch zwischen den europäischen Ländern geht.

Wir haben immer noch eine Situation, in der zum Beispiel die polnische Regierung alte sowjetische Panzer an die Ukraine in der Erwartung abgegeben hat, dass es von Deutschland dann Ersatz gäbe. Neuere Panzer, die bisher nicht gekommen sind.

Ich glaube, das sind Sachen, an denen wir arbeiten müssen, dass wir ein vollumfänglich verlässlicher Partner sind. Es ist besser geworden, aber ich glaube, wir sind da noch nicht am Ende der Fahnenstange.

DOMRADIO.DE: Die einen sagen, dass der Krieg relativ bald vorbei ist und andere sagen, es wird ewig weitergehen. Klar ist, dass seit dem 24. Februar Krieg in Europa herrscht und es wird diskutiert und gefordert und appelliert. Aber Wladimir Putin lässt sich offenbar auch gar nicht davon beeindrucken. Sehen Sie die Gefahr, dass wir uns langsam daran gewöhnen?

Daniel Freund (Mitglied des Europäischen Parlaments und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen)

"Für diese Menschen gibt es eine klare Perspektive, aus der russischen Gewaltherrschaft befreit zu werden."

Freund: Ich glaube, dass es eine Perspektive gibt. Es gibt eine Perspektive für Menschen in von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine, in denen wir gesehen haben, dass Kriegsverbrechen begangen werden, wo Vergewaltigungen, wo Erschießungen passieren.

Immer mehr von diesen Gebieten werden aktuell von den Ukrainern befreit. Für diese Menschen gibt es eine klare Perspektive, aus der russischen Gewaltherrschaft befreit zu werden. Ich glaube, das müssen wir unterstützen. Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, sich gegen diese Art von Kriegsführung zu verteidigen. Nicht nur militärisch sollten wir das unterstützen, sondern natürlich auch humanitär, mit Medikamenten, auch mit Geld, sodass die Krankenhäuser in der Ukraine weiter funktionieren können. Ich glaube, es gibt da eine Perspektive.

DOMRADIO.DE: Werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass es so weitergeht?

Freund: Niemand will, dass dieser Krieg auf ewig weitergeht. Aber ich glaube, wir tun gut daran, uns immer wieder zu erinnern, was da passiert, was da für Gräuel passieren und auf der anderen Seite auch was unsere Unterstützung schon bewirkt hat. In den ersten Kriegstagen gab es die Debatte, dass es nur Tage dauern wird, bis die Ukraine fällt. Das ist offensichtlich nicht passiert.

Ganz im Gegenteil haben wir in den letzten Wochen und Monaten eine Dynamik, die in die andere Richtung geht. Ich glaube, dass man in dieser Zeit auf gar keinen Fall einfach aufgeben sollte und sagt, dass man die Ukrainerinnen und die Ukrainer der russischen Gewaltherrschaft überlässt.

DOMRADIO.DE: An diesem Dienstagabend findet eine Diskussion im Kölner Domforum statt. Dabei dreht es sich um das Thema Sicherheit in Europa. Welchen Beitrag können denn die Kirchen in Europa hierzu leisten?

Daniel Freund (Mitglied des Europäischen Parlaments und Politiker von Bündnis 90/Die Grünen)

"Dieses Gräuel, dass Menschen aus ihrer Heimat rausgerissen wurden, ein bisschen zu lindern."

Freund: Ich glaube die Kirche kann eine Unterstützung der Bevölkerung in der Ukraine und gerade natürlich auch der Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, bieten. Viele Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer sind in der Europäischen Union, sind vor diesem Krieg geflüchtet.

Sich um die zu kümmern, die gut aufzunehmen, dafür zu sorgen, dass die Kinder in die Schulen gehen können, sind Aspekte, wo auch die Kirchen, wo aber natürlich auch unsere Gesellschaften insgesamt in Europa einen Beitrag leisten können, um dieses Gräuel, dass Menschen aus ihrer Heimat rausgerissen wurden, ein bisschen zu lindern.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR