Kölner Weihbischof zur Missbrauchs-Debatte und zu den Folgen für die Seelsorge

"Wir haben ganz viel Vertrauen verloren"

Der Kölner Weihbischof Manfred Melzer befindet sich in diesen für die Kirche schwierigen Tagen auf Visitation in den Gemeinden Leverkusens. Im domradio.de-Interview schildert der Weihbischof die Reaktionen der Gläubigen auf die aktuelle Missbrauchsdebatte und seinen Versuch Trost zu spenden.

Weihbischof Melzer mit Papst Benedikt XVI. (Archiv 2010) (KNA)
Weihbischof Melzer mit Papst Benedikt XVI. (Archiv 2010) / ( KNA )

domradio: Herr Weihbischof, wie sind Sie von den Gläubigen hier empfangen worden?
Weihbischof Melzer: Mit einer Herzlichkeit, die mich überrascht hat. Mit einer Lebendigkeit, mit der ich so nicht gerechnet hatte, denn meine Visitation ist ja in eine Zeit gefallen, in der es der Kirche gar nicht gut gehen kann. Wir liegen am Boden. Wir haben ganz viel Vertrauen verloren, und insofern kann ich auch verstehen, dass Menschen zurückhaltend sind. Umso mehr war ich überrascht, wie oft ich getröstet worden bin. Ich sage das ganz ehrlich. Das hat mich sehr bewegt.

domradio: Wie erklären Sie sich diese Reaktionen?
Melzer: Vielleicht hat dazu beigetragen, dass ich keinen Gottesdienst begonnen habe, ohne dass ich Stellung genommen habe. Ich glaube, das war sehr hilfreich. Damit will ich mich nicht selber loben. Ich wollte aber ohne das nicht 16- oder 17-jährige Jugendliche firmen, die ja viel wacher alles mitkriegen, als manche denken. Was geht denen durch den Kopf: "Will ich überhaupt in einer solchen Kirche gefirmt werden?" Ein Mädchen hat ja gesagt: "Ich will das nicht". Und sie ist zurückgetreten. Sie ist dann doch in die Messe gekommen und hat danach gesagt: "Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mich doch gerne firmen lassen."

domradio: Glauben Sie, die junge Frau wird es nachholen?
Melzer: Ja, ganz sicher! Ihre Katechetin hatte mir vor der Messe gesagt: "Das ist keine Frage, die wird kommen". Und ich hatte ihr vor der Messe gesagt: "Bitte grüßen Sie mir dieses Mädchen besonders, ich würde sie gerne kennenlernen". Denn solche Menschen brauchen wir, die nachdenken, die nicht einfach irgendwas mitmachen und durchziehen. Und dann war ich natürlich überrascht, dass sie doch in der Messe war. Und danach so etwas zu mir gesagt hat.

domradio: Sind die Menschen dankbar für ihre offenen Worte?
Melzer: Aus dem Echo, das ich erfahre, ja. Die Menschen haben gelitten, und sie haben Not. Denn es ist immer noch ihr Glaube. Die Kirche hat immer einen hohen moralischen Anspruch gestellt. Sie hat zwar nicht gesagt: "Wir sind die Heiligen". Aber für die Kirche war das ganz bitter, dass sich Priester, die beten, die das Wort Gottes verkünden und die die Eucharistie empfangen, so vergehen können.

domradio: Sie haben in den Gottesdiensten hier versucht klarzumachen, dass die Kirche aus Menschen besteht und Menschen Fehler machen.
Melzer: Ja, und wenn ich das gesagt habe, war es so still in diesen immer überfüllten Gottesdiensten. Die Leute haben es wirklich ganz genau hören wollen. Und wenn ich da helfen konnte, dann danke ich dem lieben Gott dafür.

Das Interview führte Annemarie Habermann (Radiowerkstatt im Katholischen Bildungsforum Leverkusen).