Kölner Pfarrer Quirl sorgt sich um Zukunft der Kirche

"Frauenfrage an oberster Stelle"

Nach 31 Jahren als Pfarrer von St. Severin in der Kölner Südstadt geht Johannes Quirl diesen Sommer in den Ruhestand. Im Interview blickt er auf die vergangenen Jahrzehnte zurück. Der Kirche rät er, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen.

Pfr. Johannes Quirl / © Silvia Bins (St. Severin Köln)

DOMRADIO.DE: Vor zwölf Jahren waren Sie einmal Gesprächspartner bei uns in der morgendlichen Rubrik "Tagesevangelium" und baten um die einfache Anrede "Herr Quirl", vielleicht "Pastor Quirl", aber bitte nicht "Pfarrer Quirl". Sind Sie nicht gerne Pfarrer gewesen? 

Johannes Quirl (Pfarrer von St. Severin im Severinsviertel und in der Kölner Südstadt): Ich bin gerne Pastor. Ich bin es ja noch. Pfarrer ist der offizielle Titel. Das weiß ich. Und wenn ich unterschreibe, muss ich mit "Pfr." unterschreiben. Aber Pfarrer kommt ja von Pfarrherr und Pastor ist das lateinische Wort für Hirte. Die Sorge und die Fürsorge liegt mir mehr als das Administrative. 

DOMRADIO.DE: Sie sind gebürtig aus Düsseldorf, haben 31 Jahre eine Pfarrei in der Kölner Südstadt geleitet. Wie funktioniert so etwas? 

Quirl: Wunderbar. Ich bin Rheinländer. Punkt. Komme aus Düsseldorf, habe in Bonn studiert. Selbst meine sogenannten Freisemester habe ich in Freiburg am Oberrhein verbracht und lebe seit 1982 in Köln. Die Mentalität des Rheinländers ist die Mentalität des Rheinländers. Es darf gerne ein bisschen Frotzeleien geben, aber manchmal ist es auch etwas primitiv. Das regt mich auf. Ansonsten geht es wunderbar. Ich bin ja nicht nur Pastor im Severinsviertel und in der Südstadt, sondern auch Roter Funken-Pastor. Und auch das geht sogar sehr gut. 

DOMRADIO.DE: Der Karneval eint und trennt nicht. 

Quirl: Richtig. 

Priesterweihe im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Priesterweihe im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie sind 1980 zum Priester geweiht worden. Damals war die Anzahl der Kandidaten, die ausgestreckt auf dem Teppich im Kölner Dom lagen, ja noch zweistellig. 16 waren Sie bei der Weihe. Was hat sich denn in den vergangenen 44 Jahren in Ihrem Beruf getan? 

Johannes Quirl

"Wenn Menschen für Gemeinden da sein sollen und das nicht von der Pike auf gelernt haben, halte ich das für schwierig."

Quirl: Das Erschreckendste finde ich neben der drastischen Reduzierung der Zahl: Wir 16 kamen alle irgendwie aus der Gemeindearbeit, Jugendarbeit, Messdienerarbeit. Wir waren verwurzelt in unseren Gemeinden und das ist heute nicht mehr selbstverständlich, sondern eher die Ausnahme. Wenn Menschen für Gemeinden da sein sollen und das nicht von der Pike auf gelernt haben, halte ich das für schwierig. Das halte ich auch für das Gravierendste. 

DOMRADIO.DE: Man kann das vielleicht mit einem fruchtbaren Acker vergleichen, aus dem Berufungen entstehen. Aber so eine funktionierende Gemeindearbeit wie vielleicht bei Ihnen in St. Severin gibt es in manchen anderen Gemeinden so gut wie gar nicht mehr.

Quirl: Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass sich das Bild von Kirche und die Kirche selber sich natürlich verändert hat. Die Gesellschaft hat sich verändert. Auch das Ansehen von Priestern in der Gesellschaft hat sich verändert, und zwar drastisch. 

DOMRADIO.DE: Vergangenen Freitag wurde eine Priesterstudie veröffentlicht. Diese wirft auch einen Blick auf die heutigen Priesteramtskandidaten und ihre Vorstellungen, die möglicherweise anders sind als Ihre eigenen. Hat Sie das erschreckt oder kennen Sie das? 

Quirl: Es ist erschreckend, aber es hat mich insofern nicht erschreckt, weil ich es kenne. Und ich habe natürlich damit verbundene Befürchtungen auf die Zukunft hin. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie in Ihrer Gemeinde auch Praktikanten gehabt, also Priesteramtskandidaten zur Ausbildung, mit denen Sie dann auch im Gespräch waren, wo es vielleicht auch mal Differenzen gab, was Sie unter Priestersein verstehen und was diese jüngeren Leute unter Priestersein verstehen? 

Quirl: Bei dieser Frage fällt mir auf, dass ich im Laufe meiner priesterlichen Tätigkeit viele Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten mit ausbilden durfte. Priesteramtskandidaten waren es ganz wenige, in den letzten Jahren keiner mehr. Vielleicht weil ich so bin, wie ich bin. 

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie denn? 

Quirl: Offen, ehrlich, eher liberal, den Menschen zugewandt und den Rest dürfen Sie sich denken. 

St. Severin / © Eckhard Henkel (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie haben uns damals, vor zwölf Jahren geschrieben, dass Ihre Zuständigkeit als Pfarrer für immer mehr Ihre Motivation hemmt. Sie haben unter anderem 15 Jahre lang mühevolle Fusionsarbeit rund um den Chlodwigplatz in Köln geleistet. Würden Sie sich in der aktuellen Situation heute auch noch einmal zum Priester weihen lassen? 

Quirl: Die Frage stellt sich nicht. Ich bin es und ich bin es immer noch gerne. Ich fürchte allerdings, eher nicht. Ich habe große Sorge. Wir haben in unserer Gemeinde unserem Pastoralkonzept die Überschrift gegeben: "als Glaubende den Menschen im Veedel nahe sein". Und das versuchen wir. Das wird immer schwieriger und bei den immer größer werdenden Verbünden ist meine Sorge, dass das nicht mehr so gelingt.

Ich will mal ein Beispiel nennen: Ursprünglich war ich ja nur Pastor in St. Severin. Dann kamen vier andere Pfarreien dazu und es ist der Gemeinde-Caritas gelungen, unseren Besuchsdienst für Menschen im Alter, die Geburtstag haben, und Menschen, die bei uns im Krankenhaus im Severins-Klösterchen liegen, dass sie besucht werden. Das sind bis auf den heutigen Tag jährlich insgesamt etwa 1.000 Besuche. Das ist auf dieser Ebene mit einem Kraftakt gelungen. Das wird nicht gelingen für die gesamte Kölner Innenstadt. 

DOMRADIO.DE: Die Kirche ist insgesamt in einer sehr großen Umbruchsituationen mit vielen Fragen. Die Generation der Babyboomer geht allmählich in Rente, sowohl bei den Priestern als auch bei anderen pastoralen Mitarbeitern. Was muss die Kirche hier tun, um auch zukünftig in unserer Gesellschaft die frohe Botschaft fruchtbar verkünden zu können? 

Johannes Quirl

"Die Menschen interessiert nicht unser innerkirchlicher Kram und unser innerkirchlicher Zank und Streit, auch nicht der interkonfessionelle."

Quirl: Ich glaube, sie muss sich wieder stärker auf ihre Wurzeln konzentrieren. Ich bin nach wie vor fasziniert von unserer Gründungsurkunde, der Bibel in den beiden Testamenten. Ich entdecke immer wieder Neues und Altbekanntes, was mich bestärkt. Für mich ist fast der wichtigste Satz der aus Jesaja 35: "Stärke die erschlafften Hände und stützt die wankenden Knie. Sagt den Verzagten: Habt Mut! Fürchtet euch nicht!" Das ist unsere Botschaft.

Die Menschen interessiert nicht unser innerkirchlicher Kram und unser innerkirchlicher Zank und Streit, auch nicht der interkonfessionelle. Wer zu uns kommt, wird auch nicht gefragt, ob er evangelisch oder katholisch ist. Wer mitmachen will, der macht mit an dem und dem Projekt oder in den Gottesdiensten.

Das ist das eine, so wiederentdecken, was die Bibel für ein Schatz ist und das andere, wirklich ernst zu machen mit der Gleichwertigkeit der Menschen. Da ist die Frauenfrage an oberster Stelle, wenn ich mit jungen Frauen oder Jugendlichen im Gespräch bin. Mir sagte noch vor kurzem eine, die aus der Kirche ausgetreten ist, dass sie gerne wieder eintrete, wenn Frauen Priester werden dürfen. So klar war das formuliert. 

DOMRADIO.DE: Würden Sie auch sagen: Öffnung der Ämter für die Frauen? 

Quirl: Auf alle Fälle. 

DOMRADIO.DE: Auf allen Ebenen? 

Quirl: Ja. 

DOMRADIO.DE: Ab August beginnt Ihr Ruhestand. Im November vollenden Sie Ihr 70. Lebensjahr. Worauf freuen Sie sich am meisten? 

Johannes Quirl

"Ich freue mich, ein wenig Abstand zu gewinnen und in Freiheit entscheiden zu können, was ich dann noch tue und was ich nicht tue."

Quirl: Ich will erst einmal sagen, dass ich auf dieses Datum sowohl mit Wehmut als auch mit Erleichterung schaue. Wehmut, ich habe ein Jahr vorher angekündigt, wann ich gehe, um der Gemeinde und mir ganz bewusst ein Gemeindejahr zu gönnen, das wir noch gemeinsam verleben und auch schauen, was wichtig ist und was erhalten bleiben soll. Was kann anders sein oder was hat sich auch überlebt?

In diesem Jahr, können Sie sich vorstellen, war ich mit Wehmut das letzte Mal Nikolaus im Kindergarten oder im Vrings-Treff, unserer Obdachlosen-Beratungs- und Begegnungsstätte. Das letzte Mal die Osternacht, das letzte Mal die Erstkommunion feiern. Es werden noch einige letzte Male kommen. Das tut dann nach 31 Jahren auch weh.

Was nicht weh tut, ist die Aussicht, etwas länger schlafen zu dürfen, keine Dienstbesprechungen mehr, Schlichtungsgespräche, Organisationskram und so weiter. Ich freue mich, ein wenig Abstand zu gewinnen und in Freiheit entscheiden zu können, was ich dann noch tue und was ich nicht tue. Dass ich nichts tue, kann ich mir nicht vorstellen. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Priesterausbildung im Erzbistum Köln

Der Weg zum Priester dauert in der Regel acht Jahre. Nach einem vorbereitenden Jahr studieren die Kandidaten fünf Jahre Theologie. Im Anschluss an das abgeschlossene Studium werden die Kandidaten in das Kölner Priesterseminar aufgenommen. Nach einer kurzen Zeit der Vorbereitung arbeiten sie dann in ihrer Ausbildungsgemeinde. Praktische und theoretische Elemente werden also verknüpft.

 Priesterweihe in Jordanien
 / © Andrea Krogmann (KNA)
Priesterweihe in Jordanien / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
DR