Kölner Innenstadtpfarrer kämpft gegen den Glaubensverlust an

"Unausrottbar und tief in unseren Herzen"

Zum ersten Mal sind weniger als die Hälfte der Deutschen in einer der großen Kirchen. Doch an Weihnachten waren die Kirchen voll. Der Kölner Pfarrer Dominik Meiering sieht die Entwicklung realistisch, aber auch optimistisch.

Symbolbild Kirchenaustritt / © Sheeyla (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Zum ersten Mal gehören den beiden großen Kirchen in Deutschland nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung an. Der Religionssoziologe Detlef Pollack glaubt, dass sich die gesellschaftliche Situation derzeit an einer Art Kipppunkt befindet, da die Mitgliedschaft dadurch begründungsbedürftig werde. Können Sie das nachvollziehen?

Domkapitular Dr. Dominik Meiering vor dem Altar der Stadtpatrone von Stefan Lochner im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Domkapitular Dr. Dominik Meiering vor dem Altar der Stadtpatrone von Stefan Lochner im Kölner Dom. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dr. Dominik Meiering (Domkapitular und Leitender Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden): Natürlich, im Großen und Ganzen hat der Mann recht, obwohl wir die Zahlen auf Gesamtdeutschland beziehen. Wenn wir nur Westdeutschland anschauen, dann sieht das noch ein bisschen anders aus.

Aber in Köln zum Beispiel gibt es in der Tat nur noch 50 Prozent Christen. Und ich spüre das auch, dass Menschen sagen, sie würden wegen ihrer Religiosität angefragt, nicht nur wegen der ganzen kirchenpolitischen Debatten.

Aber in der vergangenen Tagen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Kirchen voll waren. Die Menschen sind interessiert. Sie sehnen sich danach, einen Impuls zu bekommen. Sie brauchen diesen Ankerpunkt auch für ihr Familienfest. Und wir haben tolles Weihnachten gefeiert.

DOMRADIO.DE: Erinnern sich die Menschen nur an Weihnachten an die Kirche?

Meiering: Das glaube ich nicht. Aber an Weihnachten besonders, weil sie in diesen Tagen spüren, es braucht irgendwie einen Hintergrund. Jenseits des Tannenbäumchens und des guten Essens und des Familientreffens braucht es irgendwie noch ein bisschen mehr. Vor allem waren die Kirchen auch voll mit Familien mit Kindern. In St. Agnes, in Herz-Jesu, in St. Aposteln sind viele hundert Kinder zusammengekommen, tausende Menschen. Sie haben sich das Krippenspiel angeschaut, das die Kinder vorbereitet haben. Und sie haben die gute Geschichte gehört, dass das Leben immer wieder neu geboren werden muss. Und ich glaube, das ist eine Geschichte, die unausrottbar und tief in unseren Herzen ist.

Dr. Dominik Meiering, Leitender Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden

"Man kann sich doch nicht darüber aufregen, dass die Leute nicht das tun, was man von ihnen erwartet"

DOMRADIO.DE: Ärgert Sie das, wenn Menschen nur Weihnachten in die Kirche gehen?

Meiering: Im Gegenteil. Ich freue mich, wenn sie Weihnachten kommen. Man kann sich doch nicht darüber aufregen, dass die Leute sich falsch verhalten oder dass sie nicht das tun, was man von ihnen erwartet. Das ist doch Quatsch. Es müsste genau umgekehrt sein. Ich müsste jeden Augenblick, in dem sich jemand für die Kirche interessiert und dazukommt, als Ankerpunkt nutzen, um zu sagen: 'Hast du Lust noch ein bisschen dran zu bleiben oder den nächsten Schritt zu wagen?'

Wir versuchen natürlich auch, an dieser Stelle profilierte Angebote zur Verfügung zu stellen. In der Kölner Innenstadt haben wir die ganze Bandbreite. Wir hatten eine festliche Christmette mit Orchester und Chor und allem Drum und Dran. Wir hatten auch die Familienangebote wie in St. Agnes oder Herz-Jesu.

Wir hatten sogar die Kooperation mit dem Cirque Bouffon in St. Michael am Brüsseler Platz. Da haben die Leute natürlich auch gefragt, was das jetzt solle. Aber wir erreichen damit ganz viele Menschen, die sonst gar nicht ansprechbar wären, die das mal für sich ausprobieren.

Es geht dabei ganz klar um die christliche Botschaft, es geht um Verkündigung. Wir müssen angesichts der ganzen Bandbreite von Menschen, die in einer Stadt wie Köln leben, auch eine große Bandbreite an unterschiedlichen Profilen anbieten, wo Menschen sich verorten und beheimaten können.

Das Interview führte Tommy Milhome.

Jedes vierte Kirchenmitglied in Deutschland denkt über Austritt nach

Der Trend sinkender Mitgliedszahlen in den christlichen Kirchen in Deutschland hält an. Das zeigen erste Daten aus dem neuen Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann-Stiftung. Zugleich sind sich viele Menschen einig: Man kann auch ohne Kirche Christ sein. Das könnte die Bedeutung der Kirchen in der Gesellschaft auf Dauer verändern.

Symbolbild Kirchenaustritt / © Julia Steinbrecht (KNA)
Symbolbild Kirchenaustritt / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR