Koalition einigt sich bei größtem Reizthema Gesundheit

Vom Reformprojekt zum Minimalkonsens

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler war vor acht Monaten mit dem Ziel angetreten, das Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren. Nun steht fest: Aus einem kompletten Systemwechsel wird vorerst nichts, aber ein Einstieg ist gemacht. Für die Versicherten bedeutet das vor allem: Es wird teurer.

 (DR)

Die hartnäckige Streitlust der CSU hatte Rösler dabei unterschätzt. Es folgten Monate des erbitterten Gerangels mit dem Koalitionspartner aus Bayern - vom kategorischen Nein aus München über subtile Demütigungen von Rösler bis zu wüsten gegenseitigen Beschimpfungen.

Die Probleme mit der geplanten Gesundheitsreform waren absehbar. Schon in den Koalitionsverhandlungen wurden sich Union und FDP nicht recht einig und formulierten die Gesundheitspassage im Koalitionsvertrag so vage, dass jeder die Pläne anschließend anders interpretierte. Die FDP wollte die Umstellung auf eine einkommensunabhängige Pauschale - Gesundheitsprämie oder Kopfpauschale genannt. Das heißt, jeder Versicherte zahlt eine einheitliche Pauschale und für Geringverdiener und sozial Schwache gibt es einen Steuerzuschuss. Die CSU wollte vom Pauschalen-Modell aber von Anfang an nichts wissen. Parteichef Horst Seehofer und Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) übernahmen im Wechsel die Aufgabe, Röslers Vorhaben - wo immer möglich - zu torpedieren.

Auch die CDU geizte mit Unterstützung für Rösler. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ließ seinen Kabinettskollegen vor einigen Monaten auflaufen, als Schäubles Mitarbeiter das Pauschalen-Modell auf eine Oppositionsanfrage hin akribisch durchrechneten und für schlichtweg unfinanzierbar erklärten.

Die Regierungskommission - eine Kabinettsrunde mit acht Ministern, die die Positionen vereinen und Reformvorschläge erarbeiten sollte - brachte ebenfalls kaum Ergebnisse. Nach einigen wenig ergiebigen Sitzungen war von dem Gremium nichts mehr zu hören.

Rösler feilte weiter an einem Konzept, beriet mit den Fachpolitikern der Koalition und machte schließlich einen Kompromissvorschlag. Dazu reiste er eigens nach München und versuchte dort, CSU-Chef Horst Seehofer eine «kleine Kopfpauschale» von 30 Euro schmackhaft zu machen. Seehofer ließ den Minister ausführlich referieren, schickte anschließend jedoch erneut ein schroffes Nein nach Berlin und führte Rösler damit vor.

Irgendwann platzte den Liberalen der Kragen. Röslers parlamentarischer Staatssekretär Daniel Bahr (FDP) polterte, die CSU verhalte sich in der Gesundheitsdebatte wie eine «Wildsau». Die Christsozialen pöbelten auf ähnlichem Niveau zurück. Inzwischen ist die Wortwahl wieder gemäßigt, der Grundkonflikt ließ sich jedoch nicht ausräumen - und so musste sich Rösler in Teilen von seinem Reformprojekt verabschieden.

Der Kompromiss lautet nun: Der allgemeine Beitragssatz für gesetzlich Versicherte steigt von 14,9 auf 15,5 Prozent. Damit müssen auch die Arbeitgeber draufzahlen, was gerade die FDP verhindern wollte. Der Arbeitgeberanteil wird jedoch festgeschrieben. Noch teurer wird es für die Versicherten. Sie müssen nicht nur beim allgemeinen Beitragssatz mehr zahlen, sondern werden von ihren Versicherern künftig auch noch stärker über Zusatzbeiträge zur Kasse gebeten. Die bisherige Deckelung der Mehrbelastung fällt. Die Kassen bekommen freie Hand bei der Festlegung ihrer Zusatzbeiträge. Das soll den Wettbewerb fördern. Wer sich den Zusatzbeitrag nicht leisten kann, bekommt einen Steuerzuschuss. Das System dabei ist jedoch reichlich kompliziert.

Mit den Beitragserhöhungen will die Koalition einen Großteil des Elf-Milliarden-Euro-Finanzlochs stopfen, das im kommenden Jahr in der gesetzlichen Krankenversicherung droht. Rund sechs Milliarden Euro zusätzlich bringt die Anhebung des allgemeinen Satzes. Vier Milliarden Euro wollen Union und FDP über Einsparungen decken - bei Arzneimitteln, aber auch bei Ärzten und Kliniken, also den größten Ausgabenblöcken im System. Auch die Option auf Zusatzbeiträge bringt finanziellen Spielraum in Milliardenhöhe.

Kritiker bemängeln, die Sparvorhaben seien zu zögerlich und die Beitragserhöhungen schlicht ungerecht. Rösler dagegen gibt sich zufrieden. Zumindest den Einstieg in sein Pauschal-Modell hat er erreicht: Der Arbeitgeberanteil für die gesetzliche Krankenversicherung wird eingefroren, Kostensteigerungen im System müssen allein die Versicherten tragen.

Von einer großen, grundlegenden Reform kann aber keine Rede sein. Der Weg dahin ist noch weit, das räumt Rösler selbst ein. Die Milliarden-Lücke im kommenden Jahr können die Koalitionäre auf diesem Weg schließen. Wie es weitergeht, bleibt abzuwarten. Trotz seiner Erfolgsbekundungen steht Rösler bei der ganzen Sache schlecht da. Seine vollmundigen Ankündigungen zum Amtsantritt wurden in den vergangenen Monaten auf ein Minimum zusammengestaucht - mit reichlich Zutun aus Bayern.