Kneipe für Demenzkranke im Sankt Bonifatius-Stift

Auf ein Bierchen im Altenheim

Abends auf ein Feierabendbier - das gehört für viele dazu. Auch für an Demenz erkrankte war das lange Alltag. Eine nachgebaute Kneipe in einem Essener Altenheim soll darum die Erinnerungen daran wieder auffrischen.

Ein Köbes trägt Kölsch-Bier aus / © Oliver Berg (dpa)
Ein Köbes trägt Kölsch-Bier aus / © Oliver Berg ( dpa )

"Der Chef zahlt" steht auf der Getränkekarte anstelle von Preisangaben. Der Spielautomat nimmt nur D-Mark-Münzen. Der nicht funktionstüchtige Zigaretten-Automat und das Radio haben keine digitalen Displays. Und die Zeitungen auf dem Tresen sind vergilbt:

Die Westdeutsche Allgemeine vom 12. September 1968, die Ruhr-Nachrichten vom 9. Januar 1961 und der Essener Kurier vom 6. Januar 1953. Aber nicht jedem Besucher fällt auf, dass er in keiner gewöhnlichen Kneipe ist. Die "Zechen-Schänke" ganz im Stil früherer Jahrzehnte wurde für Demenzkranke eröffnet - und die fühlen sich hier zuhause und sehr wohl.

Alle Stücke in der Kneipe sind Originale

Eigens für die dementen Bewohner des Essener Malteser-Altenheims Sankt Bonifatius sind Mitarbeiter auf die Suche nach authentischen Stücken aus den 1950er und 1960er Jahre gegangen - der Jugendzeit der Bewohner. Tische und Stühle standen lange in der "Sternquelle", doch nach Schließung der Gaststätte durften die Malteser die Einrichtung für ihre Kneipe nutzen.

Das Dortmunder Brauerei-Museum sowie Theater und Philharmonie in Essen spendeten aus ihrem Fundus. Manches gaben sogar die Bewohner selbst dazu. Alle Stücke sind Originale. "Wir können den älteren Menschen nichts vormachen", sagt Muris Podrug. Er arbeitet beim Sozialen Dienst des Altenheims und hatte gemeinsam mit zwei Kolleginnen die Idee zu der kuriosen wie seltenen Kneipe.

Mit dem Schankraum wollen sie bei den Demenzkranken ein Daheim-Gefühl wecken - Gerüche, Geräusche, alles, was der Betroffene braucht, um sich wie früher und sicher zu fühlen. So kommt die Musik aus dem Plattenspieler. Aufgelegt wird, was die Patienten wollen. Derer gibt es durchaus viele: über 170 Menschen leben im Bonifatiusstift, gut zwei Drittel davon leiden an Demenz in verschiedenen Stadien.

"Viele Menschen finden hier innere Ruhe"

Einige von ihnen sind mittlerweile regelmäßige Besucher und kommen immer wieder her. Andere speichern nicht ab, dass die Kneipe da ist - und freuen sich dann gleich mehrfach am Tag darüber, dass es sie gibt. Dann sitzen sie am Stammtisch zusammen, unterhalten sich, trinken ein Bier oder Cola mit Korn. Auch Mahlzeiten können hier eingenommen werden oder die Bewohner sitzen bei Musik zusammen.

Sie alle sollen so normal wie möglich hier leben. Und die Vertrautheit hilft tatsächlich, wie Pflegedienstleiterin Maria Schraa weiß: "Viele Menschen finden hier innere Ruhe." Das hänge aber immer von der Person und ihren Bedürfnissen ab.

Nicht unbedingt um Ruhe, sondern um Geselligkeit geht es den nicht dementen Bewohnern des Stifts. Auch ihnen steht die Kneipe offen. Und so sitzen Anneliese Binias, Willi Machens, Heinz-Werner Niermann und Günter Schwerdtfeger oft zusammen in der Zechen-Kneipe. "Wir sind der harte Kern", beschreibt Niermann die Truppe zwischen 78 und 87 Jahren. Vor ihnen stehen Gläser und Flaschen, ein gut gefüllter Erdnussspender und ein blauer Wimpel mit der Aufschrift "R.T.Z.V Auf der Este" - wo der herkommt, weiß keiner von ihnen, aber das Fähnchen des Rassetaubenzuchtvereins Rote Erde in Unna passt ins Ambiente.

"Der Chef zahlt"

Geredet wird in dieser Runde über alles, was im Heim und drumherum so passiert. Manchmal bleiben die vier unter sich, manchmal kommen andere Bewohner dazu, auch Demente. Mit ihnen sei es manchmal etwas anstrengend, findet Günter Schwerdtfeger. Aber mit denen, die in die Kneipe kommen, könne man meist gut reden. Die vier Stammgäste haben sich im Altenheim kennengelernt und sehen sich gerne und oft in der Kneipe. Außer beim sonntäglichen Frühshoppen - denn das ist nur für Männer, wie Anneliese Binias als einzige Frau in der Runde ärgerlich anmerkt.

An der Kneipe schätzt sie vor allem die Gemütlichkeit: "Man kann am Tisch sitzen und klönen." Ihr gegenüber sitzt Schwerdtfeger, der dem Bewohnerbeirat vorsteht. "Dass man hier nicht bezahlen muss", gefällt ihm, sagt er mit schelmischem Grinsen. Klar, "der Chef zahlt". Steht ja auf der Karte.

Von Nadine Vogelsberg


Malteserstift Sankt Bonifatius / © Andre Zelck (KNA)
Malteserstift Sankt Bonifatius / © Andre Zelck ( KNA )

"Zechen-Schänke" im Seniorenheim Sankt Bonifatius  / © Andre Zelck (KNA)
"Zechen-Schänke" im Seniorenheim Sankt Bonifatius / © Andre Zelck ( KNA )

Nachgebaute Kneipe im Seniorenheim / © Andre Zelck (KNA)
Nachgebaute Kneipe im Seniorenheim / © Andre Zelck ( KNA )

Regal in nachgebauter Kneipe / © Andre Zelck (KNA)
Regal in nachgebauter Kneipe / © Andre Zelck ( KNA )

Zeitungen und Radio in einer nachgebauten Kneipe / © Andre Zelck (KNA)
Zeitungen und Radio in einer nachgebauten Kneipe / © Andre Zelck ( KNA )
Quelle:
KNA