Klärungsversuche und Emotionen beim Runden Tisch zum Missbrauch

«Beispielhaft»

Als erste große Institution hat die katholische Kirche in Deutschland ein Konzept zur Entschädigung der Opfer von sexuellem Missbrauch vorgelegt. Damit prägte sie am Donnerstag die Grundstimmung nach dem zweiten Plenum am Runden Tisch der Bundesregierung zu sexuellem Missbrauch.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Zwar kam der Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Karl Jüsten, erst gegen Ende der dreieinhalbstündigen Sitzung zu Wort - doch das Interesse der Journalisten im Anschluss galt dem kirchlichen Konzept. "Beispielhaft" und einen "wichtigen Schritt" nannten es die beteiligten Ministerinnen Annette Schavan, Kristina Schröder (beide CDU) sowie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). "Zu vage", urteilten kirchliche Basisgruppen und Betroffenenorganisationen. Kritik entzündet sich daran, dass das Konzept der Bischöfe keine konkreten Summen nennt und nicht auf eine pauschale Entschädigung setzt.



Die Bischöfe verpflichten sich zu "finanzieller Anerkennung" zugefügten Leids über zivilrechtliche Ansprüche hinaus, wollen therapeutische Hilfen ermöglichen und sich für einen "Präventionsfonds" stark machen, um die Vorbeugung von sexuellem Missbrauch zu verbessern. Damit kamen sie auch Forderungen aus der Bundesregierung entgegen.



Denn Familienministerin Schröder betonte nach den Beratungen, in erster Linie seien bei Entschädigungen die Institutionen "in der Pflicht, nicht der Staat". Der sei gefordert, wenn öffentliche Einrichtungen wie staatliche Schulen versagt hätten. Und es sei auch richtig, wenn die Institutionen zunächst auch die Täter zur Entschädigungszahlung heranzögen. Schavan sagte, Institutionen trügen in sich die Risiken des Missbrauchs, sie könnten aber auch als ganze ihren Beitrag zur Aufarbeitung und Vorbeugung leisten.



Strikt Anzeigepflicht gesetzlich festschreiben

Als weiteres Ergebnis des Runden Tischs konnte überraschen, dass Leutheusser-Schnarrenberger betonte, bei Fällen sexuellen Missbrauchs keine strikte Anzeigepflicht gesetzlich festschreiben zu wollen. Offenbar hatten sich unter den Experten die Erfahrungen aus der psychologischen Beratung gegen die Rechtsmeinung durchgesetzt. Die Liberale nannte eine Selbstverpflichtung von Organisationen den "besseren Weg". Sie sollten im begründeten Verdachtsfall die Staatsanwaltschaft einschalten. Im Frühjahr hatte die Justizministerin zeitweise selbst mit Blick auf Missbrauchsfälle in der Kirche auf eine strikte Anzeigepflicht gepocht.



Alle drei Ministerinnen zeigten sich zufrieden und beeindruckt von den Arbeiten des Runden Tischs und nannten eine Reihe von Einzelergebnissen. Doch wie emotionsbeladen das Thema jenseits des geschützten Tagungsraums ist, zeigte sich bei der Pressekonferenz in der fünften Etage des Justizministeriums.



"Unwahrscheinlich gute, konstruktive Runde"

Kaum hatte die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, als erste das Wort ergriffen und die "unwahrscheinlich gute, konstruktive Runde" gelobt, da erhob sich ein Mann in der ersten Reihe, stellte sich als Missbrauchsopfer, als Sprecher einer Opferorganisation "Mogis" vor. Minutenlang warf er, vom Sprecher Leutheusser-Schnarrenbergers kaum zu bremsen, lautstark den Ministerinnen Fehler vor. Der "Runde Tisch" laufe ohne Opfer selbst ab. Es werde über sie gesprochen, nicht mit ihnen. "Sie müssen den Runden Tisch noch mal aufdröseln", forderte er. Und nannte seinen Missbrauch "nicht in einer Institution, sondern im Nahbereich".



Eine fast unheimliche Szenerie: Drei versteinert wirkende Ministerinnen sowie Bergmann, die Tränen in den Augen zu haben schien, in einem Saal ohne Leibwächter - ihnen gegenüber, kaum vier Meter entfernt, der Kritiker mit schneidender Stimme. Da lag in der Luft, wie viel Tragik und Leid, wie viel Unvesöhnbarkeit das Thema jenseits der offiziellen Runden in sich birgt.



Am 10. November wird es dazu vielleicht eine Fortsetzung geben. Schröder, Leutheusser-Schnarrenberger und Schavan wollen dann selber Betroffene sexueller Gewalt zum Gespräch treffen.