Im Interview erzählt er von einem perfekten Zusammenspiel zwischen Papst Johannes Paul II. und dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow, ohne das die friedliche Revolution undenkbar gewesen wäre.
KNA: Herr Jauer, ist die Wende 1989 ohne den Vatikan vorstellbar?
Jauer: Es war ganz klar die Person des polnischen Papstes, die dazu beigetragen hat. Der Vatikan selbst hatte diesen politischen Einfluss nicht. Bei seinen mehrfachen Reisen ins kommunistische Polen hat Johannes Paul II. vorübergehend Rom hinter den Eisernen Vorhang nach Krakau verlegt. Dort konnten ihn all die Menschen erreichen, denen die Reise nach Rom versperrt war. Und: Er hat die Menschen wissen lassen, dass sie nicht allein sind. Millionen Pilger merkten auf einmal, dass da ganz viele waren, die genauso dachten wie sie. Das hat ihnen Mut gemacht.
KNA: Aber das Entscheidende hing doch von Gorbatschow ab?
Jauer: Das Zusammentreffen dieser beiden Männer war eine wirklich historische Sternstunde der Menschheit. Gorbatschow war angetreten mit Glasnost und Perestroika, was man übersetzen kann mit 'Wahrheit und Wandel'. Der polnische Papst hatte den Vorsatz, Wandel durch Wahrheit zu schaffen. Das sind keine deckungsgleichen Programme, aber es gibt Schnittmengen. Beide Männer waren auch nach dem Fall der Mauer in mehreren Treffen sehr freundschaftlich miteinander verbunden. Also, der Anteil der beiden ist so zu beschreiben: Der eine, Johannes Paul, hat mit der Solidarnosc in Polen die Wende, die Revolution in Osteuropa angestoßen. Und der andere, Gorbatschow, hat sie zugelassen.
KNA: Warum waren es gerade die Kirchen, in denen die friedliche Revolution in der DDR ihren Anfang nahm?
Jauer: Die Kirchenräume waren die einzigen nicht vom Staat kontrollierbaren oder verbietbaren Räumen, in die die Menschen gehen konnten. Dann begannen die regelmäßigen Friedensgebete. Und es hätte gewiss nie eine Montagsdemonstration in Leipzig gegeben, wenn es nicht sieben Jahre lang vorher Montagsgebete gegeben hätte. Alle diese Demonstrationen in Leipzig gingen von der Nikolaikirche aus.
Denn es hatten sich über die Jahre immer mehr Menschen unter das Dach der Kirche geflüchtet, weil sie hier miteinander Probleme offen diskutieren konnten.
KNA: Die Initiative ging vor allem von der evangelischen Kirche aus.
Warum war die katholische wesentlich zurückhaltender?
Jauer: Ich weiß nicht, welche Beweggründe etwa der Ostberliner Erzbischof Kardinal Meisner hatte, in seinem Bistum solche Friedensgebete nicht zuzulassen. Er hielt das offenbar für Politik und meinte, dass diese nicht in die Kirche gehöre. Dennoch sind viele katholische Christen zu Friedensgebeten gegangen. Es gab große ökumenische Verbindungen. So hat die katholische Studentengemeinde in Leipzig regelmäßig Montagsgebete in der evangelischen Nikolaikirche gestaltet. Es war eine evangelische Veranstaltung, aber es haben viele Katholiken daran teilgehabt.
KNA: Nach der Wende haben die Kirchen die Menschen allerdings nicht halten können...
Jauer: Die Menschen in der DDR sind nicht in die Kirche gegangen, weil sie dort beten wollten, sondern weil sie das als einen Freiraum betrachtet haben und die Nähe von Gleichgesinnten gesucht haben. Das darf man nicht mit Kirchennähe verwechseln. Nach der Wende sind wieder immer weniger Menschen etwa in die evangelischen Kirchen gegangen. Das ist traurig. Aber so läuft die Geschichte. Und es zeigt sich, wenn man 20 Jahre danach die Gesellschaft betrachtet, dass die SED in einem Punkte äußerst erfolgreich war: Nämlich im Vertreiben der Menschen aus den Kirchen. Wir dürfen nicht vergessen: Wer in der DDR eine öffentliche Karriere machen wollte, durfte mit Kirche nichts zu tun haben.
Das Interview führte Karin Wollschläger.