Kirchentags-Präsidiumsmitglied lobt neues EU-Klimapaket

"Keinen Klimaschutz muss man sich leisten können"

Sonntag haben sich Vertreter des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten in Brüssel auf wichtige Teile des Pakets "Fit for 55" verständigt. Sven Giegold sieht in dem Gesetz einen Meilenstein im Einklang mit der christlichen Sozialethik.

Klimaschutz / © Michael Kappeler (dpa)
Klimaschutz / © Michael Kappeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Europaabgeordnete Peter Liese von der CDU beschreibt die Ereignisse als historischen Moment. Man habe es geschafft, sich auf das größte Klimaschutzgesetz aller Zeiten zu einigen. Mindestens in der EU, einige sagen weltweit. Stimmen Sie da zu oder sind Sie weniger optimistisch?

Sven Giegold (Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages): Ob wir damit gleich in den Geschichtsbüchern landen, weiß ich noch nicht. Aber das ist ein großer Meilenstein für den Klimaschutz. Das ist keine Frage.

Das Entscheidende, was an diesem Wochenende passiert ist, ist, dass wir jetzt in allen wichtigen Sektoren mit Ausnahme von Landwirtschaft und Fischerei marktwirtschaftliche Instrumente haben, die sowohl der Industrie helfen und verpflichten, mit dem Klimaschutz ernst zu machen, als auch im Bereich Gebäude und Verkehr, wo bisher viel zu wenig passiert ist, einen Preisanreiz zu setzen.

Das ist entscheidend dafür, dass wir mit dem Klimaschutz weiter vorankommen. Wir verdoppeln für die Industrie etwa die Klimaschutz-Anstrengung pro Zeiteinheit und damit setzen wir weltweit Maßstäbe.

DOMRADIO.DE: Michael Bloss, auch Grünenpolitiker und Europaabgeordneter, hadert noch mit dem Gesetz. Seiner Meinung nach ist nämlich der soziale Aspekt zu gering. Klimaschutz muss man sich leisten können, heißt es ja auch immer. Wie sehen Sie das mit Blick auf das neue Gesetz?

Sven Giegold, Staatssekretär und Präsidiumsmitglied des Evangelischen Kirchentags

"Hier wird in einem Zuge mit einem europäischen Gesetz gleichzeitig ein sozialer Ausgleich beschlossen. Daher ist das auch ein Stück Europa-Geschichte."

Giegold: Keinen Klimaschutz muss man sich leisten können, denn die Armen auf der Welt werden – und tun es heute schon – am meisten unter dem fehlenden Handeln in dem Bereich leiden. Deshalb ist Klimaschutz selbst zutiefst sozial und auch eine Konsequenz und Verpflichtung für uns, gerade in den reichen Staaten, die das CO2 einmal in die Atmosphäre geblasen haben.

Aber klar: Wer in einem schlecht gedämmten Gebäude sitzt, für den ist es schwerer, den Klimaschutz voranzutreiben, weil man selber dazu nicht beitragen kann. Deshalb sorgen wir mit Gesetzen dafür, die auch alle verpflichten, die Gebäude zu dämmen, das nach und nach in allen Bereichen zu ermöglichen.

Teil des Pakets ist eben auch der Klima-Sozialfond, mit dem die vermögenderen Staaten in Europa den ärmeren Staaten helfen, ihre ärmeren Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg in die Klimatransformation zu unterstützen. Das hat es so übrigens noch nie gegeben.

Bisher war es in Europa immer so, dass wenn wir Gesetze etwa im Umweltbereich oder auch im Wirtschaftsbereich gemacht haben, dass dann die Mitgliedstaaten dafür verantwortlich waren, den sozialen Ausgleich zu schaffen. Hier wird in einem Zuge mit einem europäischen Gesetz gleichzeitig ein sozialer Ausgleich beschlossen. Daher ist das auch ein Stück Europa-Geschichte.

DOMRADIO.DE: Also doch ein Fall für ein Geschichtsbuch und Geschichtsunterricht?

Giegold: Zumindest für Europarechtler!

DOMRADIO.DE: Wichtig ist vor allem ja der europäische Emissionshandel. CO2 Zertifikate sollen zukünftig schneller verringert werden, kostenlose Zuteilungen sollen auslaufen. Das klingt jetzt alles sehr abstrakt. Was kommt konkret auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu? Kann man das überhaupt so weit runterbrechen?

"Letzte Generation"

"Letzte Generation" ist ein Bündnis von Aktivisten aus der Umweltschutzbewegung mit dem erklärten Ziel, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Maßnahmen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung gegen die Klimakrise zu erzwingen. Es bildete sich 2021 aus Teilnehmern des Hungerstreiks der letzten Generation. Ihre Anfang 2022 einsetzenden Aktionen bezeichnen die Aktivisten des Bündnisses als Aufstand der Letzten Generation.

Aktivisten der Umweltgruppe Letzte Generation haben die Fassade der SPD-Bundeszentrale beschmiert / © Julius-Christian Schreiner/TNN (dpa)
Aktivisten der Umweltgruppe Letzte Generation haben die Fassade der SPD-Bundeszentrale beschmiert / © Julius-Christian Schreiner/TNN ( dpa )

Giegold: Das kann man in der Tat schwer herunterbrechen, denn viele denken ja, dass jetzt womöglich die Preise noch weiter nach oben gehen. Damit ist hier nicht zu rechnen, sondern die führt vielmehr dazu, dass die Unternehmen, die in klimafreundliche Technologien investieren, Gelder aus einem europäischen Innovationsfonds bekommen. Sie bekommen Hilfen, dass sie diese Investitionen stemmen können und umgekehrt: Die Anlagen, die aus Klimasicht bisher nicht gut gewirtschaftet werden, die werden in Zukunft mehr bezahlen.

Das Gleiche macht die fossilen Energien im Bereich der Stromproduktion teurer. Umgekehrt gibt es dann Geld für die Staaten, mit denen sie den Wandel in Richtung Erneuerbare finanziell unterstützen können. Unterm Strich werden wir davon alle profitieren, sowohl was Arbeitsplätze und Investitionen angeht und Wettbewerbsfähigkeit als auch die Unabhängigkeit von unsympathischen Lieferanten für fossile Energie. Also ich glaube, der Klimaschutz ist eben nicht eine Bürde, sondern ist eine Chance, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie zu erneuern.

DOMRADIO.DE: Sie sind evangelischer Christ und engagieren sich nicht nur in den Bereichen Politik und Klima, sondern auch in der Kirche. Die Bewahrung der Schöpfung ist für viele Christen ein großes Anliegen. Wie bewerten Sie diesen Schritt, dieses Klimagesetz aus der kirchlichen Sichtweise?

Giegold: Ich glaube, dass dieses Gesetz in vollem Einklang mit der christlichen Sozialethik steht, und zwar deshalb, weil es – und ich habe es eben schon angedeutet – die Schwächsten in den Blick nimmt.

Es geht ja nicht nur um die Schöpfung, sondern es geht auch um die Bewahrung der Schöpfung für uns Menschen, und zwar insbesondere für diejenigen, die finanziell von ihren Chancen her weniger reich ausgestattet sind. Diejenigen leiden schon heute unter dem Klimawandel.

Sven Giegold, Staatssekretär und Präsidiumsmitglied des Evangelischen Kirchentags

"Das ist auch das entscheidende Signal: Trotz Energiekrise halten wir am Klimaschutz fest und am sozialen Ausgleich."

Wenn man in die Zukunft denkt, der Klimawandel ginge ungebremst vorwärts, bedeutet das ja nichts anderes als eine Massenverarmung in relevanten Teilen der Welt. Das abzuwenden ist unsere Pflicht und es ist wichtig, dass wir uns als Christinnen und Christen von diesem Weg nicht durch die Energiekrise, die jetzt Putins Angriff auf die Ukraine ausgelöst hat, ablenken lassen.

Das ist auch das entscheidende Signal: Trotz Energiekrise halten wir am Klimaschutz fest und am sozialen Ausgleich. Das ist auch persönliche Verantwortung für alle in Entscheidungspositionen, aber auch in Unternehmen und für uns in der Gesellschaft. Von daher ist das ein gutes Zeichen in dieser Adventszeit, dass uns dieser Schlag gelungen ist.

Das Interview Katharina Geiger.

Quelle:
DR