Eine konfessionslose Frau klagt, weil sie nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
domradio.de: Bei kirchlichen Arbeitgebern gibt es oft den Sonderzusatz, dass der Bewerber oder die Bewerberin Mitglied der Kirche sein muss, beispielsweise katholisch oder evangelisch. Jetzt hat zu dem Thema eine Verhandlung beim europäischen Gerichtshof in Luxemburg begonnen. Eine konfessionslose Frau klagt, weil sie nicht zum Vorstellungsgespräch bei der evangelischen Diakonie eingeladen wurde. Worauf klagt diese Frau?
Dr. Manfred Baldus (Professor am Institut für Kirchenrecht an der Universität Köln): Es dreht sich um die Frage und das ist der Gegenstand der Klage, ob hier ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vorliegt, das AGG. Die Klägerin behauptet, dass bei einer Besetzung der Referentenstelle, Beschäftigte wegen ihrer Nichtzugehörigkeit benachteiligt werden. Sie verlangt übrigens etwa 9.700 Euro, wenn ich das richtig erinnere.
Nun muss man wissen, dass dieses AGG die Umsetzung einer EU-Richtlinie darstellt, einer Richtlinie aus dem Jahre 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Und diese Richtlinie - wie auch das AGG - sehen aber Ausnahmen vor, gewissermaßen gesetzliche Zulassung von Ungleichbehandlung zu Gunsten der Kirchen. Wenn zum Beispiel das Selbstverständnis der Kirche dies gebietet. Oder nach der Richtlinie, nach der die Ungleichbehandlung wegen der Religion zwar eine Diskriminierung darstellt, aber die Religion eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.
domradio.de: Damit dürfte die Frau eigentlich keine Chance haben?
Baldus: So sieht es in diesem konkreten Fall aus. Aber in erster Instanz hat sie obsiegt, sie hat zwar nur rund 1.900 Euro bekommen. Das Arbeitsgericht Berlin hat ihr Recht gegeben. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die Klage aber mit der Begründung abgewiesen, dem Staat sei in solchen Belangen nur eine Missbrauchskontrolle vorbehalten. Und der Missbrauchskontrolle halte diese Regelung stand. Das Problem ist, und das ist, was die Richter wissen wollen: es ist eine Vorlage des Bundesarbeitsgerichts, ob Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie dahin ausgelegt werden kann, dass die Kirchen selbst bestimmen können, wann die Religion eine kirchliche Anforderung ist und wann nicht.
domradio.de: Gibt es Stellen innerhalb der Kirche, bei denen die Konfession keine Rolle spielen sollte?
Baldus: Das könnte man sich vorstellen, wenn man sich klarmacht, wie das Verhältnis von Kirche und Staat in Bezug auf das Arbeitsrecht überhaupt aussieht. In dem konkreten Fall handelt es sich um ein persönliches Arbeitsrecht, nicht etwa um das Dienstverhältnis eines Geistlichen. Auf dieses Arbeitsverhältnis ist grundsätzliches, weltliches Arbeitsrecht anzuwenden. Denn das kirchliche Selbstordnungsrecht ist ja aus Artikel 140 GG mit 137 Absatz 3 bekannt. Das gilt nur innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Wenn nun - wie hier durch den Inhalt des Arbeitsverhältnisses - die Belange der Kirchen berührt werden, stellt sich die Frage, wer bestimmt das denn?
Das deutsche Staatskirchenrecht geht dahin, dass sich Kirchen und Staat auf der Grundlage der Religionsfreiheit auf einen Ausgleich der Interessen bemühen müssen. Ein einseitiges Bestimmungsrecht ist damit ausgeschlossen. Die Richter wollen ja wissen, ob es nach Europarecht in Betracht kommt, dass die Kirchen selbst bestimmen können, wann Religion eine berufliche Anforderung ist und wann nicht.
Das sieht nicht nur das deutsche Staatskirchenrecht so vor, bei einem Berührungsfall wird man auf einen Interessenausgleich verwiesen. Ziel dieser Abwägung ist die praktische Konkordanz, dass alle Belange in möglichst optimaler Weise zur Wirkung kommen sollen. Daher kann man sich auch vorstellen, dass es durchaus Beschäftigungen gibt - auch aus der übereinstimmenden Sicht von Kirche und Staat - die keiner solchen Festlegung auf die Konfessionszugehörigkeit bedürfen.
domradio.de: Wenn der Frau Recht gegeben wird, was kann das für die Zukunft bedeuten?
Baldus: Ich glaube nicht, dass die Frau Recht bekommt. Denn man kann eine weitere EU-Richtlinie anwenden, den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Danach achtet die Union den Status, den die Kirchen in den Mitgliedsstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen und beeinträchtigt ihn nicht. Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität einen offenen und transparenten und regelmäßigen Dialog.
Ich bin der Meinung, dass die erwähnte Vorlagefrage des BRG zu verneinen ist. Nach deutschem Staatskirchenrecht gilt, dass die Klägerin keine Aussicht auf Erfolg hat. Im konkreten Fall liegt meines Erachtens auf der Hand, dass eine projektbezogene Vertretung in Deutschland, dass der entsprechende Stelleninhaber der Kirche angehört. Bereits aus der Stellenausschreibung folgt nach meiner Ansicht eine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung der Ungleichbehandlung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie.
domradio.de: Wären Sie Richter, würden Sie die Klage abweisen?
Baldus: Ja. Ich bin der Meinung, dass schon das Arbeitsgericht Berlin die Klage hätte abweisen müssen. Keiner hatte die Auffassung wie das Berliner Arbeitsgericht. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg war der Ansicht, dass hier auf jeden Fall Kirche und Staat sich verständigen können. Außerdem bleibe dem Staat eine Missbrauchskontrolle, und Missbrauch liege hier in diesem konkreten Fall nicht vor. Deshalb glaube ich auch nicht, dass dieser Fall von so grundsätzlicher Bedeutung ist. Es handelt sich eher um einen strittigen Grenzfall.
Das Interview führte Tobias Fricke.