Kirchenrechtler Anuth sieht Reformbedarf im Kirchenrecht

"Standesjustiz" nicht vermittelbar

Der Tübinger katholische Kirchenrechtler Bernhard Anuth sieht dringenden Reformbedarf im kirchlichen Strafrecht. Die innerkirchliche "Standesjustiz" hält Anuth angesichts des kirchlichen Vertrauensverlusts für nicht vermittelbar.

Kirchenrecht: Der rote Buchdeckel des Codex Iuris Canonici (CIC) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Kirchenrecht: Der rote Buchdeckel des Codex Iuris Canonici (CIC) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Im Gegensatz zum staatlichen ermögliche das kirchliche Prozessrecht Missbrauchsbetroffenen bis heute nicht, als Nebenkläger eine aktive Rolle im Strafprozess gegen Täter einzunehmen, sagte er im Interview des Internetportals katholisch.de (Donnerstag). "Wer einen Übergriff bei der Kirche anzeigt, ist in einem diesbezüglichen Strafverfahren nur Zeugin oder Zeuge, wird nicht einmal über den Ausgang des Prozesses informiert und kann währenddessen keine eigenen Anträge stellen, auch nicht aufgrund einer etwaigen Befangenheit von Verfahrensbeteiligten."

Fall Ouellet

Anuth äußerte sich zum Fall des aus Kanada stammenden Kurienkardinals Marc Ouellet. Ihm wird vorgeworfen, eine ehemalige Praktikantin in seiner Zeit als Erzbischof von Quebec sexuell genötigt zu haben. Der Vatikan hat mitgeteilt, dass er keinen Anlass sieht, eine eigene Untersuchung einzuleiten. 

Bernhard Sven Anuth

Bernhard Sven Anuth wuchs in Lüdenscheid auf und machte nach seinem Abitur im Rahmen eines Noviziats eine Ausbildung im Tischler-Handwerk in der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede. Nach seiner Gesellenprüfung studierte er Katholische Theologie, Germanistik und Philosophie in Bonn sowie Jerusalem, 2001 machte er sein Diplom.

Bernhard Sven Anuth (privat)
Bernhard Sven Anuth / ( privat )

Dazu sagte Anuth, die damalige Praktikantin habe den heutigen Kardinal angezeigt und ihre kirchenrechtlichen Möglichkeiten damit ausgeschöpft. "Auf alles Weitere hat sie keinen Einfluss und hätte selbst bei Einleitung eines Strafverfahrens keine prozessualen Beteiligungsrechte geltend machen können." Die päpstliche Entscheidung, keinen Strafprozess einzuleiten, müsse sie insofern wehrlos hinnehmen.

Anuth betonte, innerkirchlich gebe es bei der Behandlung von Missbrauchsfällen bis heute "eine Standesjustiz": "Im Regelfall urteilen ausschließlich Priester über ihre Mitbrüder." Erst 2020 habe Papst Franziskus erlaubt, dass zumindest Anwalt und Prokurator in einem Verfahren auch Laien sein dürften. "Diesen Standesvorbehalt halte ich gerade angesichts des massiven Vertrauensverlustes, den die Kirche aufgrund ihres Umgangs mit Fällen sexuellen Missbrauchs erlitten hat, für nicht mehr begründ- und vermittelbar."

Kritik an der Bewertung von Missbrauchstaten

Der Kirchenrechtler betonte, dass Papst Franziskus durchaus die Möglichkeit hätte, alle Rollen bei Missbrauchsprozessen für Nichtkleriker zu öffnen. "Dass er dies bis heute nicht getan hat, ist daher als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zu verstehen: Papst Franziskus will offenbar trotz allem bis heute nicht, dass Laien priesterliche Missbrauchstäter anklagen oder gar über sie urteilen."

Kritik übte Anuth auch an der Bewertung von Missbrauchstaten im kirchlichen Strafrecht. Seit der jüngsten Strafrechtsreform sei sexueller Missbrauch an Minderjährigen zwar rechtssystematisch nicht mehr nur ein strafbarer Zölibatsverstoß, sondern eine Straftat gegen Freiheit und Würde des Menschen. "Sexuelle Gewalt gegen erwachsene Menschen ist allerdings auch nach der jüngsten Strafrechtsreform nur als Zölibatsverstoß strafbar. Hier hat die Kirche meines Erachtens noch viel zu lernen."

Quelle:
KNA