Kardinal Marx stellt sich dem Urteil externer Anwälte

Kirchenmann mit turbulenter Karriere

Er stieg auf zum einflussreichsten deutschen Bischof - und wollte 2021 zurücktreten, aber der Papst ließ ihn nicht. Marx und der Missbrauchsskandal: ein schwieriges Kapitel, das in Kürze fortgeschrieben wird.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Reinhard Kardinal Marx / © Lennart Preiss (dpa)
Reinhard Kardinal Marx / © Lennart Preiss ( dpa )

Über Jahre kannte die kirchliche Laufbahn für Reinhard Marx (68) nur eine Richtung: Es ging nach oben, vom Priester zum Professor über die Bischofsweihe zum Vorsitzenden des deutschen Episkopats und schließlich Mitglied im engsten Beraterstab von Papst Franziskus. Eine beachtliche Karriere, auch wenn dieses Wort in Kirchenkreisen offiziell verpönt ist. Doch dieser Aufstieg war schon länger von Schatten begleitet, die ein Team von Rechtsanwälten nun genauer untersucht hat.

Marx und der Missbrauchsskandal - wie lässt sich sein bisheriges Handeln bilanzieren? Zunächst zur Habenseite: Als erster deutsche Bischof gibt er schon 2010 kirchliche Personalakten zur Untersuchung durch externe Juristen frei. Beauftragt wird die Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl, die auch für die nun anstehende zweite Studie den Zuschlag erhalten hat.

Der Münchner Erzbischof spricht mit Betroffenen, er äußert Erschütterung. In Kloster Ettal setzt er einen Sonderermittler ein, obwohl er für die Benediktiner kirchenrechtlich gar nicht zuständig ist. Die Öffentlichkeit registriert: Da ist einer, der fackelt nicht lange. Das Bild vom entschlossenen und notfalls rücksichtslosen Aufklärer entsteht. Im September blickt er in einem Interview auf die bisher "schlimmsten Monate" seines Lebens zurück.

Privatvermögen zugunsten von Missbrauchsbetroffenen

Kurz vor Weihnachten 2010 schreibt er an seine Gemeinden, der Skandal stelle einen "Wendepunkt" im Leben der katholischen Kirche in Deutschland dar. Um den Weg der Erneuerung gehen zu können, sei es nötig, nicht in Schockstarre zu verharren. Im Rückblick lassen sich schon hier die Motive finden, die zur MHG-Studie und dem Reformdialog Synodaler Weg führen - zwei Projekte, die Marx später als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz vorantreibt.

Der nach Bayern beförderte Westfale legt außerdem 2011 in München den Grundstein für ein internationales Kinderschutzzentrum, das bald nach Rom übersiedelt. Die Einrichtung unter Leitung des bayerischen Jesuitenpaters Hans Zollner erwirbt sich weltweite Reputation, vor allem auf dem Gebiet der Prävention.

2020 macht der Erzbischof öffentlich, dass er einen Großteil seines Privatvermögens zugunsten von Missbrauchsbetroffenen in eine Stiftung eingebracht hat - rund eine halbe Million Euro.

Verzicht auf Bundesverdienstkreuz

Im Folgejahr geht es für Marx abwärts. Mehrere Missbrauchsbetroffene, vor allem aus dem Bistum Trier, das er von 2002 bis 2008 leitete, halten ihm öffentlich schwere Versäumnisse im Umgang mit Vorwürfen gegen Priester vor. Daraufhin verzichtet er auf das ihm angebotene Bundesverdienstkreuz.

Noch mehr Aufsehen gibt es Anfang Juni. Da macht der Kardinal publik, dass er dem Papst seinen Verzicht auf den Münchner Bischofsstuhl angeboten hat. Er wolle damit als Amtsträger auch persönlich Verantwortung für das institutionelle Versagen der Kirche übernehmen, die an einem "toten Punkt" angekommen sei.

Es ist eine einsam getroffene Entscheidung - und sie ist kein taktisches Manöver, sondern ernst gemeint. Niemand hat ihn dazu gedrängt, schon gar nicht öffentlich, wie es manch anderen Bischöfen in Deutschland widerfährt. Franziskus lehnt nach überraschend kurzer Bedenkzeit ab.

Hat er Papst Benedikt XVI. gedeckt?

Nur sieben Wochen später, kurz vor seinem Sommerurlaub, deutet Marx jedoch an, dass es demnächst eine Situation geben könnte, in der er seine Bitte dem Papst erneut vortragen müsste. Der einst so mächtige, stets kraftvoll auftretende Kirchenmann ist leiser geworden. Und er stellt sich abermals zur Disposition.

Dass der damals noch unerfahrene Bischof Marx in Trier Fehler im Umgang mit Missbrauchsbetroffenen gemacht hat, ist unstrittig. Zumindest summarisch, wenn auch nicht im Detail, hat er das auch schon eingeräumt. Das von ihm selbst beauftragte zweite Münchner Rechtsgutachten wird darüber Aufschluss geben, ob er sich auch für sein Wirken in Bayern ab 2008 Versäumnisse zurechnen lassen muss.

Vor allem aber interessiert ein Politikum, das über Deutschland hinausweist: Hat Marx 2010 versucht, den damals amtierenden Papst Benedikt XVI. aus der Schusslinie der Vorwürfe herauszuhalten, und entsprechend auf andere eingewirkt? Um jenen Mann zu schützen, dem er die Beförderung zum Münchner Erzbischof und den Kardinalshut verdankt? Handelte er damit also selbst als Teil eines auf Machterhalt bedachten klerikalen Vertuschungs-Systems?

 

Quelle:
KNA