Kirchen ziehen Zwischenbilanz ihrer ökumenischen Sozialinitiative

Die richtigen Fragen stellen

Das neue Sozialwort von evangelischer und katholischer Kirche ist nach seinem Erscheinen kontrovers diskutiert worden. Bei einem Kongress in Berlin meldeten sich am Mittwoch Experten aus Politik, Kirche und Sozialwirtschaft kritisch zu Wort.

Armut ist ein globales Problem (dpa)
Armut ist ein globales Problem / ( dpa )

Die Reaktionen waren ungewöhnlich stark, als die beiden großen Kirchen 1997 ein gemeinsames Sozialwort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" veröffentlichten. Die im vergangenen Februar vorgelegte Fortschreibung mit dem Titel "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" fand bisher deutlich schwächere Resonanz. Das wohl nicht zuletzt deshalb, da der Text vor 17 Jahren einen intensiven Konsultationsprozess abschloss, während das neue "Impulspapier" von einer kleinen Redaktionsgruppe erarbeitet wurde. Jetzt stellten die Kirchen das Werk, in dem sie eine Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft fordern, bei einem Kongress am Mittwoch in Berlin zur Diskussion. Mehr als 400 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft sowie kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Verbänden waren angereist.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wertete den Text als "wichtiges Signal" an die Politik. Dass die Bundesregierung inzwischen regelmäßig Armuts- und Reichtumsberichte vorlege, gehe wesentlich auf die Anregung der Kirchen von 1997 zurück. Im nächsten Bericht, der voraussichtlich Ende 2016/2017 erscheinen werde, solle das Thema Reichtum näher betrachtet werden, kündigte sie an. Zugleich rief die Ministerin die Kirchen auf, sich weiterhin zu Fragen der Gerechtigkeit zu Wort zu melden. Wenn es etwa um die Jugendarbeitslosigkeit in Europa oder um die Arbeitsbedingungen in Bangladesch gehe, sei es schwer, dafür in Deutschland Interesse zu finden, so Nahles, "und wenn, dann bei den Kirchen".

Der Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, Peter Schallenberg, der zu den Autoren des Textes gehört, zeigte sich zufrieden mit den bisherigen Rückmeldungen. Kritisch werde vor allem vermerkt, dass die Forderungen zu unkonkret seien und einen zu starken Kompromisscharakter trügen. Dies sei aber durchaus beabsichtigt gewesen, auch große Koalitionen seien aus Sicht der Autoren nicht von vornherein schlecht, so Schallenberg. Allerdings wäre eine Ausweitung der zehn Thesen auf weitere Themen - etwa Familie, Migration oder Verteilungsgerechtigkeit - hilfreich, resümierte er.

Für den ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio liegt dabei die zentrale Aufgabe der Kirchen darin, die richtigen Fragen zu stellen, und nicht darin, "noch bessere Rezepte" für wirtschaftliche und soziale Probleme zu liefern. Überhaupt dürfe die Gerechtigkeitsdebatte nicht vornehmlich ökonomisch geführt werden.

Vielmehr müsse der ganze Mensch in seien konkreten Beziehungen gesehen werden. "Selbstverwirklichung heißt nicht Abstreifen aller Bindungen", betonte di Fabio. Dieses Missverständnis sei der eigentliche Grund für die europäische Finanzkrise. Die Kirchen müssten daher mehr darüber sprechen, was ein erfülltes Leben eigentlich ausmache.

Auch der evangelische Landesbischof in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, hob hervor, es gehe "um Richtungsentscheidungen, wie wir leben müssen". Eine Gesellschaft, die nicht mehr nach ihren Orientierungen frage, "wird blind". Zugleich gelte es, den Primat der Politik einzufordern und nicht Akteuren das Feld zu überlassen, die keiner demokratischen Kontrolle unterlägen. Als Beispiel nannte er das Handeln des Weltfußballverbands FIFA in Brasilien.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, forderte, das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Sozialethik noch stärker zum Maßstab zu nehmen und die Leistungen gerade der kleinen gesellschaftlichen Einheiten, in Betrieben, Familien und im ehrenamtlichen Engagement, angemessen zu würdigen. Es sei ein Trugschluss, "dass der Staat hier alles allein richten kann", sagte er.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kündigte zum Kongressabschluss an, dass die Diskussion noch bis Februar 2015 fortgesetzt werde. Am Ende solle keine überarbeitete Fassung des Impulstextes stehen, sondern vielleicht so etwas wie eine "gemeinsame ökumenische Feststellung" über den Prozess und Schlussfolgerungen für die künftige Arbeit. Weiter auf der Tagesordnung stünden Themen wie die wachsende Ungleichheit, Armut, Chancengerechtigkeit und Inklusion.


Andrea Nahles (dpa)
Andrea Nahles / ( dpa )

Udo di Fabio: Richter am Bundesverfassungsgericht / © Robert Boecker (DR)
Udo di Fabio: Richter am Bundesverfassungsgericht / © Robert Boecker ( DR )

Alois Glück (dpa)
Alois Glück / ( dpa )
Quelle:
KNA