Missbrauchsbeauftragter sieht Wahrheitskommission skeptisch

"Kirchen regeln ihre Angelegenheiten selbst"

Die Einrichtung einer unabhängigen Wahrheitskommission zur Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche hält Johannes-Wilhelm Rörig für juristisch nicht durchsetzbar. Dazu müsse man das Grundgesetz ändern, betonte er.

Grundgesetz Deutschland / © nitpicker (shutterstock)

"Wir müssten an der Grundarchitektur unseres Rechtsstaats Veränderungen vornehmen, man müsste die Strafprozessordnung auf verjährte Fälle übertragen", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). "Und laut Grundgesetz regeln die Kirchen ihre inneren Angelegenheiten selbst."

Unabhängige Aufarbeitungskommissionen einrichten

Er könne sich nicht vorstellen, "dass es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag gibt, die das ändern will", so Rörig. Aufklärung und Aufarbeitung müssten auf anderen Wegen weitergehen, beispielsweise durch die Einrichtung unabhängiger Aufarbeitungskommissionen, wie dies in der "Gemeinsamen Erklärung" zwischen der Bundesregierung und der katholischen Kirche vereinbart sei. Dies geschehe nun auch im Erzbistum Köln. "In der Kommission sitzen neben Kirchenvertretern mehrheitlich Expertinnen und Experten, die von der Landesregierung in Düsseldorf benannt werden, sowie Betroffene."

Die Kommission werde sagen, wie es weitergehen müsse, nicht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, betonte Rörig. "Das wird in anderen Bistümern auch so sein." Am Wochenende hatten Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann bekanntgegeben, dass bis zur Einrichtung einer solchen Kommission ein interdisziplinär besetzter Beraterstab die Umsetzung erster Maßnahmen begleiten und überwachen soll.

Mehr Elan im Kampf gegen Missbrauch

Weiter wünscht sich Rörig mehr Elan im Kampf gegen Missbrauch. "Es wäre gut, wenn der Deutsche Bundestag diesen Prozess in einem passenden Format begleiten würde", sagte Rörig der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). "Es sollte sich insgesamt verstärkt mit der Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und deren Folgen befassen."

Wenn es um die katholische Kirche gehe, reagierten Politik und Medien derzeit "wie ein Mückenschwarm aufs Licht", so Rörig. "Aber ich habe den gesamten Komplex sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche vor Augen. Es bräuchte eine turnusmäßige gesetzliche Berichtspflicht meines Amtes an den Bundestag, an die Bundesregierung und auch den Bundesrat."

Auf die Frage, ob er den Eindruck habe, dass sich andere Institutionen hinter der katholischen Kirche wegduckten, antwortete Rörig: "Die katholische Kirche hat eine Vorreiterrolle, was die strukturierte Aufarbeitung angeht. Vor ihr ist im Moment keiner.

Hinter ihr sind viele." Die evangelische Kirche in Deutschland wolle jetzt eine vergleichbare Struktur schaffen. Auch mit dem organisierten Sport gebe es Gespräche. "Bei den Schulen wären wir gerne aktiver, wegen Corona ist das im Moment kaum möglich." Rörig weiter: "Wir versuchen alles, um alle aus dem Windschatten der katholischen Kirche herauszuholen."


Johannes-Wilhelm Rörig / © Gregor Fischer (dpa)
Johannes-Wilhelm Rörig / © Gregor Fischer ( dpa )
Quelle:
KNA