Kirche will von Basisgemeinden in Entwicklungsländern lernen

"Import von pastoralen Südfrüchten"

In der Tübinger Universität diskutierten erstmals in Deutschland Theologen und engagierte Christen aus vier Kontinenten über Geschichte, Formen und Theologie der Basisgemeinden.

Basisgemeinde Horqueta (Adveniat)

Als vor gut 50 Jahren in Lateinamerika katholische Basisgemeinden entstanden, schrillten im Vatikan die Alarmglocken: Lag in der Gründung dieser eigenverantwortlich Kirche gestaltenden Gemeinschaften der revolutionäre Sprengstoff, um die streng hierarchisch kontrollierte Einheit der Kirche auseinanderzureißen? Und: Wie politisch darf das Christentum sein, um sich den Ärmsten der Armen zuzuwenden und eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen?

Im Zentrum der von der Theologischen Fakultät und den katholischen Hilfswerken missio und Adveniat organisierten Tagung stand die Frage, wie die Erfahrungen der Basisgemeinden in den Ländern des Südens für Deutschland fruchtbar werden können.

Die alten ideologischen Gräben sind (fast) überall überwunden. Folgerichtig bezeichnete der honduranische Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, einer der wichtigsten Kirchenführer Lateinamerikas, die Entwicklung der Basisgemeinschaften in seiner Heimat als Erfolgsgeschichte. "Es ist eine große Chance, weil sich hier Frauen und Männer engagieren, ihrer Berufung folgen und damit Kirche sind, statt bloß passive Teilnehmer zu bleiben."

Eine Botschaft, die in Deutschland auf offene Ohren trifft. Nach Einschätzung des Osnabrücker Theologen Dieter Tewes wächst das Interesse am Aufbau neuer Gemeindeformen. Unter dem Stichwort "lokale Kirchenentwicklung" seien derzeit Gemeinden und Projekte in den Bistümern Hildesheim, Osnabrück und Limburg die Vorreiter.

Entwicklung braucht Zeit

Das von Tewes gegründete «Nationalteam Kleine Christliche Gemeinschaften in Deutschland» vernetzt aktuell bundesweit rund 50 entsprechende Initiativen. "Wir dürfen aber auf keinen Fall pastorale Südfrüchte als vermeintliche Patentrezepte importieren wollen", so Tewes. Notwendig seien passgenau für die jeweilige Lage vor Ort gestaltete Initiativen. Diese Entwicklung brauche Zeit, auch weil die Modelle bislang nicht überall von der Kirchenleitung unterstützt würden. "Aber wir haben immer mehr Bischöfe auf unserer Seite."

Dies dürfte auch der Umbruchsituation in der deutschen Kirchenlandschaft geschuldet sein. Überall fehlen Priester, werden Kirchengemeinden zu Seelsorgeverbünden zusammengelegt. Es entstehen Gemeinden, die sich der Größe der katholischen Gemeinden in den Ländern des Südens annähern. Etwa wenn in Brasilien in einer 60 mal 100 Kilometer großen Gemeinde auf 30.000 Katholiken zwei Priester kommen.

"Das Konzept der Basisgemeinde ist der einzige Ausweg, weil nur so die Christen vor Ort ihr Glauben selbstverantwortlich gestalten können", sagt Paulo Suess, katholischer Priester und Missionswissenschaftler, der seit den 1960er Jahren in Brasilien lebt.

Und er macht eindrücklich deutlich, dass aus seiner Sicht das solidarische Handeln für die Armen und der Kampf für eine gerechtere Welt auch heute integraler Bestandteil des Christentums bleiben müssen. "Jeder Katholik muss die existenzielle Nähe zu den Armen suchen, und zwar jede Woche", fordert Suess. Sein Ideal ist eine Kirche, die "wir nicht haben, sondern die wir selbst sind".

Adveniat-Geschäftsführer Bernd Klaschka bezeichnete die christlichen Basisgemeinden in Entwicklungsländern als wichtige Vorbilder. "Wir brauchen neue Formen, um den Menschen von heute die Begegnung mit dem lebendigen Christus zu ermöglichen", so der Leiter des Lateinamerika-Hilfswerks. Und auch Klaus Krämer, Präsident von missio, sprach von der Chance, durch Basisgemeinden das "drohende Austrocknen des geistlichen Lebens" zu verhindern. Deutschland könne von den Ländern des Südens viel lernen.

Weitergedacht steht am Ende der gerade an Fahrt gewinnenden Bewegung ein neues Kirchenbild von einer stark von der Basis mitgestalteten und verantworteten Kirche. 50 Jahre nach den befreiungstheologischen Aufbrüchen der lateinamerikanischen Basisgemeinden könnte dies auch zu neuem Sprengstoff für die katholische Kirche werden.


Quelle:
KNA