Kirche in Frankreich muss sich mit Missbrauchsfällen auseinandersetzen

Kardinal unter Druck

Auch die katholische Kirche in Frankreich setzt sich mit Fällen von Missbrauch an Kindern auseinander. Am Montag entscheidet sich, ob gegen den Kardinal von Lyon ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Anzeigepflicht eingeleitet wird.

Unter Druck: Kardinal Philippe Barbarin / © Harald Oppitz (KNA)
Unter Druck: Kardinal Philippe Barbarin / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Enthüllung mehrerer Fälle von Missbrauch hat ein Erdbeben in der katholischen Kirche Frankreichs ausgelöst. Bisher war Pädophilie kaum thematisiert worden. Nun kam es im Lyoner Erzbistum zu Verhören und Hausdurchsuchungen, der Lyoner Kardinal Philippe Barbarin wurde von der Polizei vernommen. Barbarin hat eine der wichtigsten Machtpositionen unter den französischen Bischöfen inne.

Am 18. Juli wird die Entscheidung erwartet, ob gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Anzeigepflicht zugelassen wird. Die Sturmwelle brach im Januar vergangenen Jahres über die katholische Kirche herein. Im Fokus steht der Priester Bernard Preynat. Er wird beschuldigt, zwischen 1986 und 1991 über ein Dutzend Pfadfinder in der Lyoner Region vergewaltigt und sexuell belästigt zu haben. Die Eltern der heute 30- und 40-Jährigen hatten damals die Diözese alarmiert, der Priester war damals versetzt worden.

Beschuldigter Priester bis 2015 im Amt

Die Opfer leiteten nun aber juristische Schritte ein, als sie erfuhren, dass der beschuldigte Priester bis August 2015 im Amt geblieben war: Sechs Betroffene verklagten den Kardinal von Lyon Ende 2015 wegen unterlassener Anklagepflicht. Barbarin war 2002 nach Lyon gekommen, also viele Jahre nach den Vorfällen. Der Kardinal versicherte, er habe niemals pädophile Taten gedeckt. Zunächst war von einem ersten Kontakt mit einem Opfer 2014 die Rede, dann wollte er von der Affäre ab den Jahren 2007 bis 2008 "gehört" haben.

Wer ein Verbrechen nicht anzeigt, macht sich eines Delikts schuldig, das nach drei Jahren verjährt. Die Frage der Verjährung stellt sich nicht nur für den Kardinal, sondern auch für die Straftaten des Priesters. Die Richter des Lyoner Berufungsgerichtes befanden vor wenigen Wochen, dass die dem Priester vorgeworfenen Taten nicht verjährt seien.

Angesichts immer lauter werdender Kritik in den Medien - manche Stimmen forderten den Rücktritt des Lyoner Erzbischofs - anerkannte Kardinal Barbarin schließlich "Irrtümer" in der "Verwaltung und Nominierung gewisser Priester". Bei einem Treffen der Geistlichen der Diözese im April dieses Jahres bat er die Opfer um Verzeihung.

Kardinal reagiert

Die Pariser Diözese richtete unterdessen eine Email-Adresse für Missbrauch ein. Seit April wurden ein Dutzend Fälle gemeldet. Nach der Anhörung eines Expertenkollegiums reagierte auch der Lyoner Kardinal: Er enthob Anfang Juli vier des Missbrauchs verdächtige Priester ihres Amtes.

Papst Franziskus unterstützt Kardinal Barbarin, dieser habe sich nichts zuschulden kommen lassen - aber er veröffentlichte auch seinen Brief über eine mögliche Abberufung von Bischöfen, die sich "Versäumnisse" angesichts von Pädophilie schuldig machten. Gegen den Erzbischof von Lyon ist inzwischen eine zweite Voruntersuchung wegen Verletzung der Anzeigepflicht im Gange.

Ende der Affäre noch nicht abzusehen

Ein hoher Beamter im französischen Innenministerium behauptet, in den 1990er Jahren im Alter von 16 und 19 Jahren selbst Opfer sexueller Aggressionen gewesen zu sein seitens eines anderen Priesters aus der Lyoner Region. Ein Ende der Affären ist also nicht abzusehen: Vor wenigen Wochen wurde gegen einen weiteren Priester ein Strafverfahren eingeleitet. Er wird der Pädophilie zwischen 2007 und 2010 in Zentralafrika verdächtigt.

Anfang Juni stellte der Pariser Kardinal André Vingt-Trois vor 300 Priestern Maßnahmen zur Prävention von Pädophilie vor. Eine Kommission aus Experten und Priestern steht den Bischöfen bei Verdächtigungen zur Seite. Künftig gibt es eine Ansprechstelle für Opfer und Familien. Priester und Seminaristen sollen besser ausgebildet werden. Drei Geistliche werden für Gespräche mit betroffenen Priestern abgestellt.

Erstmals wurden auch Zahlen genannt: Rund 50 Priester seien vom Verdacht betroffen, ein Dutzend davon in Paris, die Hälfte davon sei bereits verstorben. "Priester gelten als unfehlbar, da sie im Namen Gottes handeln", analysiert der Historiker und Politologie Philippe Portier die nur langsam stattfindende Bewusstwerdung in der katholischen Kirche Frankreichs. Ein einziger französischer Bischof, Pierre Pican, war 2001 wegen unterlassener Anzeigepflicht zu drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden.


Quelle:
epd