Kirche in der Krise

"Nearer, My God, to Thee"

DOMRADIO.DE Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen blickt mit Sorge auf den Zustand der Kirche.

 (DR)

Draußen vor dem Hohen Dom zu Köln wehte in diesen Tagen ein eiskalter Wind. Ungemütlich, man musste sich warm anziehen. Auch in unserer Kirche ist es ungemütlicher geworden. Der Gesang am Sonntagmorgen wird von Mal zu Mal dünner, die Kirchenbänke leeren sich scheinbar unaufhaltsam. Aber der Kirche laufen nicht nur die Gläubigen weg. Im gesellschaftlichen Dialog spielt sie immer weniger eine Rolle – gerade jetzt, wo die Gesellschaft Orientierung so gut gebrauchen könnte.

Wenn von Kirche überhaupt noch die Rede ist, dann meistens nur von ihren selbst verursachten Skandalen – von dem, was alles nicht mehr läuft. Und die Christen, die in den Bistümern an ganz unterschiedlichen Stellen Verantwortung übernommen haben, basteln an immer neuen Strukturen, Reformen, Lösungswegen. Oft jeder für sich – und meistens allein gegen alle. Wer in diesen Zeiten, wo in unserer Gesellschaft sich offenbar alles mit rasendem Tempo verändert, von außen auf das Kirchenschiff schaut, der wird sich unwillkürlich an die letzten Stunden auf der sinkenden Titanic erinnert fühlen. Alles läuft völlig durcheinander: Während die einen sich um gut katholische Rettungsboote und rein evangelische Schwimmwesten zanken, lauschen die andern fatalistisch den Klängen der Bordkapelle: "Nearer, my God, to Thee". Auf dem Luxusdeck hat der Kapitän zum festlichen Dinner geladen und unten im Maschinenraum fällt schon der Strom aus. Auf der Brücke ist kein Kapitän zu sehen, der erste Offizier am Steuer ist hoffnungslos überfordert und auf Deck Drei schläft man noch ganz in Ruhe seinen Rausch aus…

Diese Situationsbeschreibung findet sich schon in der Bibel! Die Jünger sind auf ihren kleinen Booten in großer Sorge – Sturm ist aufgezogen. Die Wellen schwappen über Bord. Es ist mehr als ungemütlich. Das Leben scheint bedroht und Jesus schläft hinten auf den Kissen. „Meister – Mensch, aufwachen, kümmert es Dich nicht, wenn wir hier zugrunde gehen?!“ Und was macht Jesus? Er steht auf und befiehlt dem Wind zu schweigen. Es wird ruhig und dann kommt dieser Hammersatz: "Warum habt Ihr solche Angst? Habt Ihr noch keinen Glauben?!"

Ja, ich bin der festen Ansicht, uns fehlt oft der Glaube. Selbst, wenn wir ihn wie eine Monstranz stolz und selbstverliebt vor uns hertragen. Überall aber dort, wo der wahre Glaube fehlt, fehlt die Weite, die Freiheit eines Christenmenschen, fehlt die Liebe. Angst kommt immer von Enge. Enge in unserem Denken und Fühlen. Angst lässt uns Mauern bauen. Dann wird die Welt ganz einfach: Hier die Bösen, die Menschen aus den 'Dreckslochstaaten' – und auf der anderen Seite wir, die Guten. Da hilft es nicht, auf zwei Bibeln zu schwören! Und ein kleiner Trump wohnt in jedem von uns: Wir zuerst! Wie oft sind wir in unserem Denken die Besten, die Größten? Wie perfekt wäre die Welt, wenn sie sich nur um uns drehen würde?

Was jetzt helfen könnte, wäre ein starker, unerschütterlicher Glaube. Nicht an unsere eigenen, oft überschätzten Fähigkeiten. Sondern an einen Gott, der uns so liebt, wie wir sind. Ein Gott, mit dem wir die Mauern unser Ängste überspringen. "Habt keine Angst – ich bin bei Euch bis ans Ende der Welt!"

Ein gemütliches, angstfreies Wochenende und einen guten Sonntag wünscht Ihnen für das ganze DOMRADIO.DE Team,

Ihr
Ingo Brüggenjürgen
Chefredakteur



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