Kiewer Kirchen dienen seit der Gewaltexzesse als Krankenlager

"Es ist wie im Krieg"

Ein großes Rotes Kreuz, das Erkennungszeichen für Sanitätsdienste, hängt seit Dienstag an der Katherinenkirche gleich beim Präsidentenresidenz in Kiew. Viele Kirchen und Klöster leisten in diesen Tagen erste Hilfe und mehr.

Autor/in:
Oliver Hinz
Pastor Ralf Haska in Kiew / © dpa (dpa)
Pastor Ralf Haska in Kiew / © dpa ( dpa )

Pfarrer Ralf Haska brachte es an seinem evangelischen Gotteshaus an, weil hier nun Ärzte rund zehn Schwerverletzte behandeln. Das Zeichen solle vor Angriffen schützen und zugleich Verwundeten signalisieren, dass sie hier Hilfe bekommen, sagt der aus Brandenburg stammende Geistliche.

Haska selbst war am Dienstag von einem Gummigeschoss am Finger getroffen worden. "Ich stand in einer Reihe von friedlichen Demonstranten und filmte", erzählt der 47-jährige Pfarrer. Kurz nachdem Protestierende Steine geworfen hätten, habe offenbar von einem Dach ein Polizist auf ihn geschossen. Haska kam mit einem blauen Finger davon. Wer Auslöser der schwersten Krise der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit 1991 ist, steht für ihn fest: "An der Eskalation sind die Leute in der Regierung schuld." Und er betont: "Die Kirchen stehen auf der Seite derjenigen, die sich für ein gerechtes Land ohne Korruption einsetzen."

Mindestens 25 Menschen kamen nach Angaben der Regierung in Kiew seit Dienstagnachmittag bei Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Regierungsgegnern ums Leben. Darunter seien neun Polizisten und ein Journalist. Von rund 1.000 Verletzten ist die Rede.

Feldküche der Malteser bislang verschont

Spezialeinheiten stürmten in der Nacht zum Mittwoch den Unabhängigkeitsplatz (Maidan), den zentralen Ort des Protests gegen die Regierung, und räumten ihn zum Großteil. Auch eine der zwei Zeltkapellen auf dem Maidan ging in Flammen auf.

Die Spezialtruppe "Berkut" der Polizei habe sie angezündet, teilte die griechisch-katholische Kirche am Mittwoch unter Berufung auf Aktivisten mit. Die Kapelle hatten Priester der mit Rom verbundenen Kirche zur Unterstützung der Demonstranten vor vielen Wochen direkt unter der Denkmalsäule errichtet. Orthodoxe, griechisch-katholische und römisch-katholische Priester teilten sich das Zelt und nutzten es abwechselnd für Gottesdienste.

Die andere, von protestantischen Geistlichen betreute Zeltkapelle steht laut Pfarrer Haska weiter hinter der Bühne der Regierungsgegner. Auch die Feldküche der Malteser blieb bislang verschont. Sie versorgte die Tausenden Demonstranten weiter mit Tee und Suppen.

Wie eine schwarze Ruine ragt über dem Platz das ausgebrannte Gewerkschaftshaus, das einstige Hauptquartier der Opposition. Es sei von der Spezialeinheit "Berkut" in Brand gesetzt worden, meint die Caritas-Ärztin Dzwinka Tschaikiwska, die bis Dienstagnachmittag im dortigen Krankenstation arbeitete. "Das Feuer brach in den oberen Stockwerken aus, und auf dem Dach des Gebäudes waren "Berkut"-Polizisten", so die ehemalige Chefin eines Krankenhauses im westukrainischen Lviv (Lemberg). Sie hätten Brandsätze durch die Fenster geworfen.

Die Krankenstation musste deshalb in das orthodoxe Michaelskloster verlegt werden. Die dortige Arbeit erinnert Tschaikiwska an ihren Noteinsatz bei der Organgenen Revolution 2004. "Aber damals gab es nicht so viele Verletzte und so furchbare Wunden", erzählt die Ärztin. "Jetzt ist es wie im Krieg." Viele Regierungsgegner seien von Granaten oder Kugeln getroffen worden. "Ein junger Mann verlor seinen Arm. Andere erlitten schwerste Verletzungen am Gehirn oder der Lunge."

Nicht alle konnten auf den provisorischen Operationstischen in dem Kloster gerettet werden. Mindestens vier überlebten laut Tschaikiwska nicht. Als sie am Mittwoch ihre Arbeit beendete, behält sie dennoch etwas in guter Erinnerung: die große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. "Alle halfen mit", sagt sie. Auch in zwei Cafes operierten Mediziner Verletzte.

Keine Anzeichen für eine Entspannung

In der römisch-katholischen Alexander-Kathedrale unweit des Maidan leisteten Ärzte ebenfalls Erste Hilfe. Polizisten sollen versucht haben, Regierungsgegner bis in das Gotteshaus hinein zu verfolgen, berichteten ukrainische Online-Medien unter Berufung auf einen Priester.

Was die Zukunft angeht, ist der Caritas-Chef in der Ukraine, Andrij Waskowycz, wenig optimistisch: "Es gibt keine Anzeichen für eine Entspannung." Er fordert die EU zu Sanktionen gegen Staatspräsident Viktor Janukowitsch und ranghohe Regierungsmitglieder auf: "Diese Leute müssen spüren, dass eine blutige Niederschlagung der Demonstrationen für sie negative Konsequenzen hat." Vom Westen erwarteten die Ukrainer, dass er eine klare Haltung einnehme und den "Weg der Sanktionen" gehe.


Quelle:
KNA