Keine Spur von Unruhe unter der syrischen Jugend

Schweigen in Damaskus

Während die Jugend der arabischen Welt in Aufruhr ist, herrscht in Syrien Schweigen. Das Schicksal von mehr als einer Million irakischer Flüchtlinge hält den Syrern täglich den Spiegel vor und lässt Angehörige aller Konfessionen auf weitere Reformen hoffen - statt auf einen Umsturz mit ungewissem Ausgang.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

Nicht ein Wort verlor Präsident Baschar al-Assad zum politischen Ende seines ägyptischen Amtskollegen Hosni Mubarak, mit dem ihn weder politische noch persönliche Freundschaft verband. Auch den Abgang des tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali kommentierte Assad nicht, und bei dem Aufstand gegen Muammar al-Gaddafi in Libyen geht es der Regierung offiziell nur um die Sicherheit von Zehntausenden syrischen Gastarbeitern.



Die Medien in Damaskus hingegen feierten den Sturz des "Pharao". Das "Gesicht Ägyptens, der Region und der gesamten Welt" werde sich ändern, hieß es in der staatlichen Baath-Zeitung. Auch Israel werde seine Politik überdenken müssen, weil es nach der Türkei mit Mubarak einen weiteren Bündnispartner verloren habe. Tatsächlich sprach vor wenigen Tagen Israels Verteidigungsminister Ehud Barak erstmals wieder von Friedensgesprächen mit Syrien.



Die syrische Regierung praktiziert derweil "business as usual". Regierungs- und Handelsdelegationen aus aller Welt werden empfangen und Kooperationsverträge geschlossen. Regierungsangestellte werden wegen Korruptionsverdacht entlassen. Eine Sonderkontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO lehnt Damaskus weiter ab und teilte der Behörde den Bau eines Atomreaktors mit, der 2020 fertig sein soll.



Das Staatssicherheitsgericht verhängte eine Haftstrafe von fünf Jahren für eine 19-jährige Studentin, die für den US-Geheimdienst CIA spioniert haben soll. Schon im Januar wurde die Zusatzsteuer auf Heizöl ausgesetzt und ein Sozialprogramm für arbeitslose und bedürftige Familien in Kraft gesetzt.



In einem Interview verglich Assad die Situation in der arabischen Welt kürzlich mit einem "stehenden Gewässer", dem der Sauerstoff fehle. Die politisch Verantwortlichen müssten sich ständig verbessern, um den Veränderungen in der Gesellschaft gerecht zu werden. Jahrzehnte politischer und wirtschaftlicher Stagnation, ideologische Schwäche, ausländische Interventionen und Kriege seien Ursache "der Unzufriedenheit, die in den Straßen Tunesiens und Ägyptens zum Ausbruch kam".



"Unsere Generation hat so viele Möglichkeiten"

"Sie wundern sich, warum wir hier in Syrien so entspannt sind?", fragt Bisher Issa vom Konservatorium der Syrischen Oper in Damaskus lachend. Der 37-Jährige spielt die Trompete im Orchester und singt im Kammerchor. "Syrien hat sich in den vergangenen zehn Jahren enorm verändert. Wir haben nicht nur Internet, Facebook und all diese Sachen. Als Künstler und Musiker werden wir mehr anerkannt als je zuvor." Seine Kollegin Safana Bakhle (27) bestätigt: "Unsere Generation hat so viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen." Die Situation sei mit Ägypten, Tunesien oder Libyen nicht zu vergleichen.



Religion spiele in Syrien keine Rolle, sagen beide übereinstimmend. "Syrien wird niemals werden wie der Irak, wo die Christen von den Muslimen getrennt wurden und fliehen mussten." Das Schicksal von mehr als einer Million irakischer Flüchtlinge hält den Syrern täglich den Spiegel vor und lässt Angehörige aller Konfessionen auf Reformen hoffen statt auf einen Umsturz mit ungewissem Ausgang.



Das junge Präsidentenpaar ist bei den Syrern beliebt. Unter der Schirmherrschaft von Präsidentengattin Asma entstanden zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, in denen sozial engagierte junge Leute viele ihrer Vorstellungen verwirklichen können. Die feste Haltung Assads gegen den Irak-Krieg 2003 und sein Beharren auf der Rückgabe der von Israel besetzten Golan-Höhen haben ihm weit über Syriens Grenzen hinaus Ansehen gebracht. Er leitete die Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft ein, wovon eine neue Mittelschicht profitiert.



Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer

Doch die wirtschaftliche Umstellung ist auch ein zweischneidiges Schwert. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer; die Lebensbedingungen vieler Menschen sind erbärmlich. Unmut gibt es über ausufernde Bürokratie und Angst vor einem allmächtigen Sicherheitsapparat.



"Ja, wir müssen die Menschenrechte mehr respektieren", sagt Fadia Affash, die sich als Malerin und Menschenrechtsaktivistin einen Namen gemacht hat. Mit ihren Bildern wolle sie sich für die Frauenrechte einsetzen, die in Syrien noch immer nicht angemessen respektiert würden, so die 33-Jährige. Das sei aber kein Problem des Islam; das gebe es auch bei Christen und sei Ausdruck einer überholten Lebensweise. Die junge Generation aber werde das ändern, meint sie selbstbewusst.