Katja Lange-Müller über ihr Buch "Drehtür“

"Wir sind doch keine Kerbtiere“

In ihrem neuen Roman "Drehtür“ erzählt Katja Lange-Müller die Geschichte einer hilflosen Helferin. Auf domradio.de spricht die Autorin über die Motive, die uns dazu bewegen, zu helfen und über das, was am Ende von uns bleibt.

Katja Lange-Müller / © Heike Steinweg (KiWi)
Katja Lange-Müller / © Heike Steinweg ( KiWi )

Jahrzehntelang hat die Krankenschwester Asta Arnold in den ärmsten Ländern der Welt geschuftet. Nun ist sie alt, und die Kolleginnen in Nicaragua, wo sie zuletzt gearbeitet hat, haben sie zurück nach Deutschland geschickt. Sie landet auf dem Münchener Flughafen. Da steht sie vor einer Drehtür und denkt: "Ja, die Kollegen in Managua sehen das ganz richtig; ich habe genug geholfen. Nur wohin ich nun soll oder will, das weiß ich nicht. Kein Geld, kein Zuhause, keine Familie, keine Freunde, keine Perspektive … .“

"Helfersyndrom, Flüchtlingskrise - das sind so Begriffe wie Briefmarken"

Asta Arnold hört vor der Drehtür die Stimmen der Vergangenheit. Begegnungen und Menschen fallen ihr ein. Geschichten aus ihrem Leben. "Jede dieser Geschichten, dieser Episoden führt eine Variante des Helfens vor“, sagt Lange-Müller. Und genau darum geht es in dem Roman, ums Helfen, um Helfertypen und ihre Motive, natürlich geht es dabei auch um das sogenannte Helfersyndrom. "Das ist heute beinahe so ein Schimpfwort wie Opfer“, sagt die Autorin, "diese Asta entrüstet sich darüber, dass dieses Bedürfnis, anderen beistehen zu wollen, so negativ etikettiert wird. Flüchtlingskrise, Helfersyndrom – das sind so Begriffe, die sind wie Briefmarken, die pappt man irgendwo drauf, und damit ist der Fall erledigt. Das regt sie so auf“.

"Sie hat alles verloren"

Katja Lange-Müller hat ein politisch sehr aktuelles Buch geschrieben. Was macht die Flüchtlingskrise mit uns, was die Willkommenskultur, und wie und warum können und wollen wir helfen? Die Heldin des Romans, Asta Arnold, denkt über all das nach, auch über das, was bleibt, was für sie als ausgediente Krankenschwester vom Leben bleibt. "Sie hat alles verloren. In dem Moment, wo sie auf diesem Flughafen steht, alles – außer einer Stange Duty-Free Zigaretten“, beschreibt Lange-Müller ihre Heldin. Und so raucht sie, während sie die Stimmen der Vergangenheit hört, eine Zigarette nach der anderen.

Menschen sind keine Käfer, keine Kerbtiere

Was bleibt vom Leben? Die Autorin Katja-Lange Müller ist davon überzeugt, dass etwas bleibt: "Ich glaube schon, dass unsere Kultur die Verlängerung der Evolution ist, und auf diese Art bleibt natürlich immer das Nächste von uns. Das Nächste, das Kommende ist das, was von uns bleibt,“ sagt die Autorin. Und für die Nächsten, die nach uns kommen, haben wir eine ganz konkrete Verantwortung. Darum ist Katja Lange-Müllers Buch auch ein sehr politisches Buch, in dem es um Solidarität geht, um unsere Verantwortung für die Menschen in den armen Ländern der Welt, denn "wir geben das schon weiter. Wir geben den Stab unserer Spezies quasi weiter und sollten uns bewußt sein, dass wir im Unterschied zu Kerbtieren auf unsere Evolution, die eine nur mehr kulturelle ist, sehr viel Einfluss haben“.