Katholisches Büro NRW sieht Staat und Kirche in Pflicht

"Glaubwürdigkeit zurückgewinnen"

Laut einer Forsa-Umfrage haben zwei Drittel der deutschen Bevölkerung kein Vertrauen in den Staat. Antonius Hamers zeigt sich schockiert, aber auch nicht wirklich verwundert. Staat und Kirche ständen dadurch in der Pflicht.

Antonius Hamers / © Nicole Cronauge (Katholisches Büro NRW)

DOMRADIO.DE: Worauf führen Sie die Ergebnisse dieser Umfrage zurück? Woran liegt es Ihrer Ansicht nach, dass die Deutschen dem Staat nicht vertrauen?

Dr. Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros NRW): Ich habe diese Umfrage heute Morgen in den Zeitungen gelesen. Das hat mich natürlich auch schockiert. Aber auf der anderen Seite auch nicht wirklich verwundert.

Denn wenn man die Stimmung in der letzten Zeit wahrnimmt und auch die Diskussionen gerade eben um die großen politischen Themen hört, die im Moment auf dem Tisch liegen, also sei es jetzt Klimapolitik, sei es Sicherheitspolitik, sei es Migrationspolitik, dann bekommt man natürlich schon mit, dass viele Leute große Fragen daran haben.

Es ist ganz interessant, finde ich. Gerade in der Zeit der Pandemie habe ich den Eindruck gehabt, dass sich viele Leute sehr auf den Staat verlassen haben und der Staat aufgrund seiner finanziellen Möglichkeiten auch vieles abgefedert hat.

Ein Mädchen sitzt mit Mundschutz in einer Kirchenbank bei der Messe zur Feier der Erstkommunion / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Mädchen sitzt mit Mundschutz in einer Kirchenbank bei der Messe zur Feier der Erstkommunion / © Harald Oppitz ( KNA )

Wir sind jetzt in einer Situation, in der die Steuereinnahmen deutlich nachgelassen haben und die wirtschaftliche Situation deutlich schwieriger geworden ist. Damit stehen dem Staat wiederum weniger Mittel zur Verfügung und er kann weniger finanzielle Unterstützung geben.

Ich glaube, dass auch das ein wichtiger Punkt dafür ist, warum im Moment viele Leute angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung Fragen an die Leistungsfähigkeit und an die Verlässlichkeit des Staates haben.

DOMRADIO.DE: Unterrichtsausfall an Schulen, ewig lange Wartezeiten bei Behörden und die Kommunen zeigen sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert. Kann man es da nicht verstehen, wenn die Menschen kein Vertrauen mehr in den Staat haben?

Dr. Antonius Hamers

"Manchmal kann man vielleicht den Eindruck bekommen, dass sich in der Politik mehr um einzelne Randfragen gekümmert wird als um die großen Fragen, die die breite Bevölkerung in diesem Land wirklich bewegen und interessieren."

Hamers: Ja. Denn an diesen Dysfunktionalitäten, die die Menschen unmittelbar in ihrem Alltag erleben, muss dringend etwas getan werden. Insbesondere muss aber im Bereich der Bürokratie dringend etwas abgebaut werden.

Es muss selbstverständlich dafür gesorgt werden, dass die ganze Verwaltung digitaler wird, dass Anträge schneller verarbeitet werden und dass vor allem die breite Bevölkerung den Eindruck hat, dass es wirklich um sie und um ihre Fragestellungen geht.

Manchmal kann man vielleicht den Eindruck bekommen, dass sich in der Politik mehr um einzelne Randfragen gekümmert wird als um die großen Fragen, die die breite Bevölkerung in diesem Land wirklich bewegen und interessieren.

DOMRADIO.DE: Wir reden hier über das Vertrauen in den Staat. Gibt es da auch Parallelen zur Kirche? 

Dr. Antonius Hamers

"Das ist ein ganz, ganz großes Manko, was uns als Kirche natürlich auch dringend beschäftigen muss."

Hamers: Das ist wahr, dass nicht nur das Vertrauen in den Staat sehr in Frage gestellt ist, sondern eben auch in die anderen großen gesellschaftlichen Gruppen. Da spielen wir als Kirche eine große Rolle.

Aber nehmen Sie auch Gewerkschaften, Parteien, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. All diese großen Institutionen, die eigentlich einen ganz maßgeblichen Beitrag zur Gesellschaft und zum Zusammenhalt dieser Gesellschaft und damit eben auch zu Tragfähigkeit des Staates spielen, sind in einer riesigen Vertrauenskrise.

Da sind wir als Kirche leider vorneweg. Unsere Glaubwürdigkeit ist offensichtlich so stark erschüttert, dass uns viele Menschen den Rücken kehren und wir damit auch nur einen zunehmend begrenzten Einfluss auf gesellschaftlichen Zusammenhalt nehmen können.

Das ist ein ganz, ganz großes Manko, was uns als Kirche natürlich auch dringend beschäftigen muss.

Vertrauen in den Staat erreicht in Umfrage neuen Tiefstand

Das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des deutschen Staates ist auf einen neuen Tiefstand gesunken. In einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage für den Deutschen Beamtenbund hielten nur noch 27 Prozent der Befragten den Staat für fähig, seine Aufgaben zu erfüllen. Das waren zwei Prozentpunkte weniger als im vergangenen Jahr. 69 Prozent der vom Institut Forsa Befragten sahen den Staat als überfordert an – vor einem Jahr waren es 66 Prozent gewesen.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland / © Sahara Prince (shutterstock)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland / © Sahara Prince ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum ist der Staat und das Vertrauen in den Staat jetzt so wichtig?

Hamers: Der Staat soll den Rahmen dafür geben, dass Menschen ihre Freiheit und ihre Würde leben können. Dass sie vor allem für sich und für die Menschen, die ihnen nahestehen oder die zu ihnen gehören, Verantwortung übernehmen können.

Es ist zunächst einmal wichtig, dass der Staat dafür Regeln schafft, dass der Mensch auf der einen Seite seine Individualität ausleben kann, auf der anderen Seite aber auch seinen sozialen Verpflichtungen nachkommen kann, beziehungsweise auch wiederum davon profitiert, dass die staatlichen Systeme ihn dann unterstützen, wenn der Einzelne die Herausforderung alleine nicht schultern kann.

Und das ist eine wichtige Aufgabe des Staates. Dazu gehört unter anderem, dass unterschiedliche Interessenlagen in einen vernünftigen Einklang gebracht werden. Ein wichtiger Begriff ist in dem Zusammenhang immer wieder die Nachhaltigkeit.

Nachhaltigkeit hat drei Dimensionen. Eine ökonomische, eine ökologische und eine soziale. Und der Staat hat dafür zu sorgen, dass die Schöpfungsgrundlagen geschützt werden und zugleich die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass auch wirtschaftliches Handeln und Wertschöpfung möglich ist und dass die Industrie und Wirtschaft sich entwickeln kann.

Eine verzweifelte Person in einem Krankenhausbett / © KieferPix (shutterstock)
Eine verzweifelte Person in einem Krankenhausbett / © KieferPix ( shutterstock )

Und schließlich ist der Staat dafür da, Menschen zu unterstützen, wenn sie nicht in der Lage dazu sind, selbstständig genügend Mittel durch ihre Arbeit zu erreichen, oder auch in Krankheit, im Alter oder in anderen schwierigen Situationen.

Der Bildungsbereich ist selbstverständlich ein wichtiger Bereich. Schulen, Berufsausbildung und Universitäten müssen funktionieren.

Das sind große Herausforderung, die uns momentan und auch in den nächsten Jahren sicherlich noch einmal besonders beschäftigen werden; gerade weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates in den nächsten Jahren sicherlich nicht so üppig sein wird, wie sie das vielleicht in den vergangenen Jahren war.

DOMRADIO.DE: Kann die Kirche etwas dazu beitragen?

Dr. Antonius Hamers

"Daran müssen wir uns immer wieder neu messen lassen."

Hamers: Selbstverständlich kann auch die Kirche was tun. Auch wir müssen um Glaubwürdigkeit werben. Gewinnen kann man die nicht.

Man kann also nur um Vertrauen und um Glaubwürdigkeit werben. Und das heißt natürlich vor allem, dass unser Handeln im Einklang ist mit dem, wofür wir stehen, also im Einklang mit dem Evangelium ist.

Daran müssen wir uns immer wieder neu messen lassen. Und wenn uns das nicht gelingt, dass die Menschen uns diese Botschaft abnehmen oder sie durch unser Handeln nicht davon überzeugt werden, dass wir für diese Botschaft stehen, dann werden wir weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.

Ich glaube, dass es auch unsere gesellschaftliche Aufgabe ist, daran mitzuarbeiten, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und auf diese Weise in der Gesellschaft und auch in diesem Land für diese Menschen und in diesem Staat eine wichtige Rolle zu übernehmen. Wir können das und wir müssen das.

Das Interview führte Dagmar Peters.

 

Quelle:
DR