Katholischer Verband sieht kaum Teilhabe mit Mindestlohn

"Fast unmöglich"

Die Katholische Arbeitnehmerbewegung hält den jüngst beschlossenen Mindestlohn von 12,41 Euro pro Stunde ab 2024 für völlig unzureichend. "Damit ist gesellschaftliche Teilhabe fast unmöglich", sagte ihr Bundesvorsitzender.

Eine Frau beim Einkaufen im Supermarkt / © Drazen Zigic (shutterstock)
Eine Frau beim Einkaufen im Supermarkt / © Drazen Zigic ( shutterstock )

epd: Die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) fordert im Kampf gegen Armut, dass der Mindestlohn bei 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes liegen sollte. Ist diese Bezugsgröße nicht ein willkürlicher Wert? Schließlich wird Armut oder Armutsgefährdung unterschiedlich definiert.

Andreas Luttmer-Bensmann (KAB)
Andreas Luttmer-Bensmann / ( KAB )

Andreas Luttmer-Bensmann (Bundesvorsitzender der Katholischen Arbeitnehmerbewegung / KAB): Diese Messlatte ist nicht aus der Luft gegriffen. Denn eine Person gilt nach der EU-Definition als armutsgefährdet, wenn sie über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfügt. So soll jedes Land einen Mindestlohn festlegen, der einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. Mit 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoverdienstes würde dies für Deutschland erreicht und zumindest die definierte Schwelle für Einkommensarmut überschritten.

epd: Wir reden aber dennoch über die unterste Einkommensschicht...

Luttmer-Bensmann: Ja. Teilhabe wird mit einer solchen Mindestlohnperspektive natürlich nicht für alle ermöglicht. Für einen Menschen mit einer Vollzeitbeschäftigung und ohne besondere Problemlagen würde dieser Mindestlohn aber immerhin die Chance bieten, nicht noch weiter abgehängt zu werden.

epd: Nach ihren Berechnungen hätte es einen Mindestlohn von 14,62 Euro geben müssen. Also noch einmal deutlich mehr als die von vielen Sozialverbänden bereits jetzt erhofften 14 Euro. Wie groß ist nun die Enttäuschung über die 12,82 Euro und was ist zu tun?

Luttmer-Bensmann: Die Mindestlohnforderungen der KAB lagen in den vergangenen Jahren immer deutlich über allen anderen Forderungen.

Unsere Höhe hat sich eben nicht an einer politischen Zahl, sondern an einer Berechnung orientiert. Enttäuscht sind wir nicht darüber, dass die 14,62 Euro nicht erreicht wurden, sondern dass eine angemessene Orientierung an den Lohnsteigerungen und ein notwendiger Inflationsausgleich nicht erfolgt ist. Man muss deutlich sagen, es ist einfach zu wenig, was jetzt entschieden wurde.

epd: Jetzt werden ab 2025 noch nicht mal 13 Euro erreicht ...

Der Mindestlohn soll 2024 auf 12,41 Euro steigen / © Marijan Murat (dpa)
Der Mindestlohn soll 2024 auf 12,41 Euro steigen / © Marijan Murat ( dpa )

Luttmer-Bensmann: Leider war ein solcher Streit nach der politischen Entscheidung für die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro erwartbar. Die Frauen und Männer, die für Niedriglöhne arbeiten, sind aktuell kaum in der Lage, die Kosten des Alltags zu stemmen. Nun ist der Mindestlohn sogar für die kommenden Jahre zementiert. Menschen werden damit weiter ausgegrenzt, gesellschaftliche Teilhabe fast unmöglich.

epd: Erstmals wurde in der Mindestlohnkommission kein einstimmiger Beschluss gefasst. Wie ist das zu bewerten und was folgt daraus für die Zukunft? Muss der Staat wieder das Heft des Handelns an sich ziehen?

Luttmer-Bensmann: Einen nochmaligen Eingriff der Politik in die Arbeit der Mindestlohnkommission wird es wohl nur in größter Not geben. Mit dieser Entscheidung sind aber große Problemfelder verbunden. So werden sich zukünftige Steigerungen des Mindestlohns an den vorherigen Werten orientieren. Die Schere der Lohnentwicklung wird damit weiter aufgehen. Gleichzeitig ist die bisher große Zustimmung zur Arbeit der Kommission in Frage gestellt. Die schon bisher geführte Debatte um die Richtigkeit dieses Instruments Mindestlohnkommission wird sich weiter verschärfen.

epd: Sie fordern, bei der Mindestlohnfindung weitere soziale Kriterien zu definieren und festzuschreiben? An welche Parameter denken Sie da?

Luttmer-Bensmann: In der Ausgestaltung eines Mindestlohnes reicht die vorwiegende Orientierung an der Lohnentwicklung der vorhergehenden Jahre nicht aus. Die Menschen müssen jetzt Brot, Miete und Energie bezahlen. Insbesondere die aktuellen Entwicklungen bei Tarifverhandlungen, die Inflationsentwicklung und zu erwartende Veränderungen aus der sozial-ökologischen Transformation wie die Energiekostenentwicklung sollten mit in die Entscheidung einfließen.

Die Höhe des Mindestlohns muss den aktuellen Lebenslagen der Menschen gerecht werden.

Das Interview führte Dirk Baas.

Katholische Arbeitnehmer-Bewegung

Die Katholische Arbeitnehmer Bewegung ist ein Sozialverband in Deutschland, Österreich und der Schweiz, in dem etwa 125 000 Männer und Frauen bundesweit organisiert sind. Die KAB Deutschlands will die Gestaltung einer gerechten und solidarischen Gesellschaft, in der allen Menschen die gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme ermöglicht wird, so beschreiben sie ihre Aufgabe selbst.

Screenshot: KAB vor Continental-Werk in Aachen / © KAB (KAB)
Screenshot: KAB vor Continental-Werk in Aachen / © KAB ( KAB )
Quelle:
epd