Katholische Schullandschaft in Deutschland ist im Umbruch

Vom Exportschlager zum Sorgenkind

In den vergangenen Monaten haben sich die Meldungen über die Schließungen von katholischen Schulen angehäuft - obwohl diese Schulen trotz des Missbrauchsskandals ein gutes sehr Image haben. Eine Spurensuche.

Autor/in:
Joachim Heinz und Roland Juchem
Katholische Schulen haben es schwer in Deutschland. / © Kara Gebhardt (shutterstock)
Katholische Schulen haben es schwer in Deutschland. / © Kara Gebhardt ( shutterstock )

Die Nachricht war für Schülerinnen und Eltern ein Schock. Als im Frühjahr bekannt wurde, dass das Erzbistum Köln die katholische Liebfrauenschule in Bonn schließen will, fühlten sich viele vor den Kopf gestoßen. "Wir alle dachten: Wir sind an einer tollen Schule, und dann das", schildert Luisa Schnabel, damals Schülersprecherin, die Gefühlslage an dem Mädchengymnasium. Eltern und Lehrer hätten zuerst über die Presse von den Plänen erfahren, berichtet der stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende Björn Krüger, der mit anderen Eltern die Initiative "Rettet die Liebfrauenschule" ins Leben rief.

Mängel in der Kommunikation

Dass es Mängel in der Kommunikation gab, räumt auch die Leiterin der Hauptabteilung Schule/Hochschule im Kölner Generalvikariat, Bernadette Schwarz-Boenneke, ein. "Ich hätte mir gewünscht, dass beide Seiten - Erzbistum und Schule - besser mit der Situation umgegangen wären." Sie fügt aber auch hinzu: "Der Beschluss, unsere Trägerschaft der Liebfrauenschule bis 2032 zu beenden, bedeutet ein vergleichsweise großes Maß an Zeit und Planbarkeit."

Leitend für die Entscheidung zum Rückzug des Erzbistums waren laut Schwarz-Boenneke unter anderem die folgenden zwei Fragen: Ist die Schule aus eigener Kraft überlebensfähig und stimmt das Verhältnis von Lehrern und Schülern? Das sei wichtig etwa für ein ausreichendes Angebot von Kursen in der Oberstufe.

Zu wenige Schüler

Für die Bonner Liebfrauenschule fiel die Bestandsaufnahme negativ aus, wie Schwarz-Boenneke vor Beginn des neuen Schuljahres vorrechnete: "Die Schülernachfrage ist seit Jahren deutlich unter der erforderlichen Klassenfrequenz von 81 Schülerinnen pro Jahrgang geblieben; aktuell sind es aufgrund von Nachmeldungen von an anderen Schulen abgewiesenen Mädchen bis zu 77 Schülerinnen. Würde man nur die proaktiven Anmeldezahlen rechnen, wäre die Zahl deutlich niedriger."

Eigentlich erstaunlich. Denn auf Bundesebene betrachtet gelten katholische Schulen als Exportschlager der Kirche. Im Bistum Osnabrück etwa gibt es seit Jahren im Schnitt 20 Prozent mehr Anfragen von Schülern und ihren Eltern als Schulplätze, erklärt Thomas Weßler, Vorstand der diözesanen Schulstiftung. Auch vom allseits grassierenden Lehrkräftemangel seien katholische Schulen bisher weniger stark betroffen als andere, so Weßler, der auf politischer Ebene zum Thema freie Schulen viel unterwegs ist. Für viele junge Pädagogen sei eine kirchliche Schule nach wie vor ein attraktiver Arbeitsplatz.

Wo es nicht mangelt

Weßler ist nicht allein. "Wenn es irgendwo der Kirche an Nachfrage nicht mangelt, dann in ihren Kitas und Schulen", schrieben Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und der ehemalige Leiter des Berliner Jesuitengymnasiums Canisiuskolleg, Klaus Mertes, im Mai in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Doch auch sie stellen fest: "In katholischen Diözesen werden immer mehr Schulen geschlossen." Ein Grund: das Geld. "Die Personalkosten, vor allem die Pensionslasten, sind auf Dauer nicht mehr zu tragen." Aber die Finanzen seien nicht alles. "Die Motivation schwindet, dem Staat als starker zivilgesellschaftlicher Partner mit eigenem Engagement bei der Bildung zur Seite zu stehen. Das kirchliche Leben zieht sich immer mehr auf die Gemeinde zurück."

904 katholische Schulen

Aktuell befinden sich laut Deutscher Bischofskonferenz 904 katholische Schulen - von der Grund- bis zur Berufsschule - in Trägerschaft von 289 unterschiedlichen Schulträgern, darunter Bistümer und Ordensgemeinschaften. Damit stellen katholische Schulen die größte Gruppe an Schulen in freier Trägerschaft. Noch. Denn diese Vielfalt geht nach und nach zurück.

Vor allem katholische Orden geben wegen Personal- und Finanzmangel ihre Schulen auf. Hier und dort gelingt die Rettung mittels einer Stiftung. Bistümer selber zögern, Ordensschulen zu übernehmen - weil die Zukunftsaussichten bei der Kirchensteuer mau sind und andere Bereiche wie Gemeinden oder Beratungsstellen um die kleiner werdenden Budgets buhlen.

Vier weitere Schulen geschlossen

Beispiel Hamburg: Mit Beginn des laufenden Schuljahres sind vier weitere der bis dahin noch 20 katholischen Schulen in dem Erzbistum endgültig geschlossen worden. Die Katholische Schule Altona, die Domschule Sankt Marien, die Katholische Schule Neugraben und die Franz-von-Assisi-Schule. 2021 hatte bereits die Katholische Schule Sankt Marien Eulenstraße ihre Tore geschlossen. 2025 soll das Niels-Stensen-Gymnasium folgen.

In Eichstätt gab das Bistum im März bekannt, sich aus Kostengründen von allen seinen fünf Schulen trennen zu wollen. Das Nachbarbistum Augsburg wollte daraufhin laut Medienberichten prüfen, mit seinem Schulwerk einzuspringen. Bisher noch ohne offizielles Ergebnis.

Refinanzierung unterschiedlich

Darüber hinaus gestaltet sich die staatliche Refinanzierung freier Schulen in den Bundesländern wie auch von Schultyp zu Schultyp sehr unterschiedlich. Sie reicht von über 90 Prozent bis nur zur Hälfte etwa in Bremen. Bemessungsgrenzen und Leistungsumfänge schwanken stark und bilden einen Wust an Vorgaben.

Im Fall der Bonner Liebfrauenschule wollte die Initiative "Rettet die Liebfrauenschule" nach einem "werteorientierten Träger" suchen, "der nicht nur die Hülle unserer Schule erhält, sondern vor allem den besonderen Charakter". Vor wenigen Tagen kam das endgültige Aus für diesen Plan. Im Kölner Generalvikariat hatte schon vorher die Skepsis überwogen.

Trägerwechsel sehr komplex

"Ein Trägerwechsel ist aus mehrere Gründen ein sehr komplexer Vorgang: Der Träger muss eine Finanzierung für drei Jahre vorlegen, er muss Personal finden und einstellen, die Eltern überzeugen, ihre Kinder weiter an der Schule zu lassen, und er muss Verhandlungen mit der Bezirksregierung führen", gab Schwarz-Boenneke im Sommer zu bedenken. "Die Übernahme der Immobilien und der laufenden Kosten allein sind nur ein Teil eines solchen Wechsels."

Viele engagierte Eltern seien sehr frustriert über den Kurs des Erzbistums, sagt der stellvertretende Schulpflegschaftsvorsitzende Krüger. Zugleich fügt er hinzu: "Wir müssen jetzt aus der Situation das Beste machen." Das sei man den Schülerinnen und den Lehrkräften schuldig.

Schulen wichtig für Kirche

Schwarz-Boenneke betont, dass die Schulen ein wichtiges Pfund sind, mit dem die Kirche in der Gesellschaft wuchern kann, "weil sie hier über Jahre in Kontakt mit jungen Menschen tritt". Neben der aktuellen Diskussion um die "auslaufende Schließung" der Liebfrauenschule gebe es andernorts Bestrebungen, die Präsenz zu stärken: Etwa mit dem 2016 beschlossenen und noch im Aufbau befindlichen Bildungscampus in Köln-Kalk.

Katholische Schulen in Kürze

Die katholische Kirche ist nach eigener Darstellung der größte freie Schulträger in Deutschland. Das Grundgesetz räumt in Artikel 7 freien Trägern das "Recht zur Errichtung von privaten Schulen" ein. Auf dieser Grundlage sind derzeit rund zehn Prozent der Schulen in der Bundesrepublik sogenannte "Schulen in freier Trägerschaft". Im Schuljahr 2015/2016 besuchten rund 360.000 Schüler eine der 904 katholischen Schulen. Damit gehen rund 3,7 Prozent aller Schüler in eine katholische Einrichtung.

Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Religionsunterricht / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA