Katholische Frauen fordern mehr Rechtssicherheit für Opfer

Alltägliche Gewalt gegen Frauen

Schläge, Stalking, sexuelle Übergriffe: Jede dritte Frau in der EU hat Gewalt erlebt. Im domradio gibt Anne Rossenbach Einblick in die Arbeit vom Sozialdienst Katholischer Frauen. Sie fordert mehr Rechtssicherheit für Opfer.

Gewalt gegen Frauen (dpa)
Gewalt gegen Frauen / ( dpa )

domradio.de: Jede zehnte Frau zwischen 18 und 74 Jahren hat seit ihrem 15. Lebensjahr sexuelle Gewalt erfahren, jede zwanzigste wurde auch noch vergewaltigt. Das sind erschreckende Zahlen. Wie erklären Sie sich das, wo wir in Europa uns doch gern für so fortschrittlich halten?

Anne Rossenbach (Sozialdienst Katholischer Frauen): Grundsätzlich ist das Thema ja nicht so, dass in weniger fortschrittlichen Gesellschaften mehr Gewalt existiert. Es ist ein grundlegendes Problem, das vielleicht in Europa nur inzwischen etwas intensiver bearbeitet und sprechbarer geworden ist. Grundsätzlich hat die Weltgesundheitsorganisation schon vor mehreren Jahren festgestellt, dass Frauen mehr gesunde Lebensjahre durch häusliche Gewalt verlieren als durch alle Kriege, Hungersnöte und sonstigen Katastrophen zusammen.

domradio.de: 22 Prozent aller Befragten gaben an, körperliche oder sexuelle Gewalt durch den eigenen Partner erfahren zu haben. Die Bundesrepublik liegt hier genau im EU-Schnitt. Wieso kommt es so oft zu Gewalt durch den Partner?

Rossenbach: Grundsätzlich müssen wir sagen, Gewalt wird gelernt. Das heißt, die Fähigkeit Konflikte nicht gewaltlos auszutragen, wird von einer Generation auf die nächste übertragen und wenn man da nicht sehr früh schon anfängt, diese Gewaltspirale zu durchbrechen, perpetuiert sich das Problem. Außerdem ist die Gesellschaft im Wandel, da gibt es auf der einen Seite prekäre Arbeitsbeschäftigungsverhältnisse, die Menschen belasten, auf der anderen Seite ändert sich auch das Rollenbild der Frau. Frauen werden selbstbewusster, die Zeitungen berichteten etwa in dieser Woche, dass in Deutschland immer mehr Frauen in der Lage sind, für ihr eigenes Aufkommen einstehen zu können. Da ist dann die Tendenz vielleicht auch so, das anerzogene Weltbild wieder zurechtrücken zu müssen und die Frau mit Gewalt oder mit psychischem Druck dahin zurücksetzen zu wollen, wo sie eigentlich "ihren Platz hat".

domradio.de: Wir stellen uns gern vor: Gewalt kommt nur in sozial benachteiligten Familien vor oder bei Paaren mit Migrationshintergrund. Also schön weit weg von uns. Stimmt das?

Rossenbach: Nein, häusliche Gewalt kommt in allen Schichten vor, nur das Anzeigeverhalten scheint ein anderes zu sein. Das erleben wir auch in unserer Beratungsstelle. Sehr potente Frauen haben die Möglichkeit, eine Beratungsstelle in Anspruch zu nehmen oder gleich zum Rechtsanwalt zu gehen. Weniger potente Frauen oder Frauen mit Migrationshintergrund, Frauen, die in Armut leben, landen vornehmlich in den Frauenhäusern. In der Mitte gibt es eine sehr große Gruppe von Frauen, die körperliche und sexuelle Gewalt nicht anzeigen, weil sie schambesetzt ist, weil sie Angst haben, ihren sozialen Status zu verlieren, weil sie vom Partner vielleicht auch materiell abhängig sind.

domradio.de: Ein weiteres Thema ist das Stalking, das Nachstellen. In Deutschland sind überdurchschnittlich viele Frauen davon betroffen. Was bedeutet das für die Betroffenen?

Rossenbach: Wir haben über mehrere Jahre eine spendenfinanzierte Stalkingberatungsstelle gehabt und haben da sehr deutlich erleben können, dass Stalking häufig gescheiterten Beziehungen folgt. Es geht darum, die Frau wieder in die Beziehung mit Zwang reinzuholen. Ich glaube, jeder von uns kann sich ausmalen, was es bedeutet, nicht mehr aus dem Haus gehen zu können, ohne Angst zu haben, dass damit gedroht wird, den Vorgesetzen über irgendetwas zu informieren, was dem eigenen Ruf abträglich ist. Also sein eigenes Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben, sondern fremd bestimmt zu werden und nie zu wissen, welche Aktion die nächste ist und diesen Zyklus auch nicht unterbrechen zu können - es sei denn, man gibt einen großen Teil seiner Freiheit auf, zieht in eine andere Wohnung, lässt sich eine neue Telefonnummer geben und versucht, sein Leben wieder so zu anonymisieren und zu schützen.

domradio.de: Die Studie zeigt auch, dass die Gesellschaft offenbar das Problem nicht allein in den Griff bekommt. Was müsste Ihrer Ansicht nach von der Politik getan werden, um Frauen besser zu schützen?

Rossenbach: Das ist ein großes Thema für uns. Die letzte Bundesregierung hat noch einmal die materielle Zuständigkeit für Frauenberatungsstelle und Frauenhäuser abgelehnt. Es gibt auf der Bundesebene das Bundesgewaltschutzgesetz, es gibt ein Gesetz gegen Stalking, aber die Umsetzung vor Ort müssen in der Regel die Kommunen leisten und da wissen wir alle, wie klamm Kommunen sind. In manchen Bundesländern ist es dann noch einmal anders geregelt. Letztendlich gibt es keine Rechtssicherheit und keine Rechtsklarheit unterhalb des Gesetzes mit Durchführungsverordnung. Da müsste endlich eine stringente konsequente Haltung her, die Rechtssicherheit gibt und vorallem auch eine materielle Ausstattung, die es wirklich möglich macht, Frauen und auch Männer - denn auch sie sind Opfer von häuslicher Gewalt - konsequent und auch über einen längeren Zeitraum zu begleiten und zu beraten. Und vorallem Angebote für Kinder zu machen, damit wir diesen Kreislauf, von dem ich am Anfang sprach, endlich durchbrechen können.

Das Interview führte Tobias Fricke


Quelle:
DR