Karla Schefter über die Situation in Afghanistan

Menschen nicht aufgeben

Wenn es um Afghanistan geht, hat Karla Schefter nur noch wenige Illusionen. Seit den 90er Jahren hat die gelernte Operationsschwester aus Dortmund in Chak-e-Wardak, etwa 65 Kilometer südwestlich von Kabul, ein Hospital aufgebaut und pendelt seitdem ständig zwischen Deutschland und Afghanistan. Unter dem Titel "Ich gebe die Menschen nicht auf" hat die 69-Jährige jetzt eine Bilanz ihres Engagements gezogen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Die Lage am Hindukusch ist gegenwärtig instabiler als zur Zeit der Taliban-Herrschaft", schreibt sie. Der Terror habe an Brutalität zugenommen. Korruption und Drogenkonsum seien gewachsen, die Situation der Frauen habe sich extrem verschlechtert. "Afghanistan ist seit über 30 Jahren nicht mehr zur Ruhe gekommen", nennt die Dortmunderin Gründe für das Chaos. Traditionen gelten nicht mehr, Wissen ging verloren. Den Begriff der "Taliban" hält Schefter für verfehlt. Sie unterscheidet zwischen den Religiösen - "Die sind auf meiner Seite" - und den Extremisten und Kriminellen, denen es allein um Macht und Geld gehe.



"Die Weichen wurden 2002 gestellt, als das westliche Militär anfing, sich gegenüber der zivilen Aufbauhilfe in den Vordergrund zu stellen, und rücksichtslos afghanische Traditionen überging", so beschreibt sie den wichtigsten Grund für den Fehlschlag des Westens.

Die Afghanen hätten jegliches Vertrauen in die ausländischen Soldaten verloren, insbesondere in die Amerikaner.



Situation ist immer schwieriger geworden

Andererseits räumt sie - mit ehrlicher Ratlosigkeit - ein, dass ein Abzug der westlichen Truppen die Lage jetzt noch verschlimmern müsste. Ihr Rat: Der Westen müsse dringend mehr für den zivilen Aufbau tun. Die an sich lobenswerte Absicht, den Afghanen zunehmend die Verantwortung zu übergeben, erweise sich bisweilen als fatal.



Auch für Schefter selber ist die Situation immer schwieriger geworden. Wenn sie mit Spenden und Medikamenten nach Afghanistan reist, kann sie seit zwei Jahren nur bis nach Kabul kommen. Dort trifft sie ihre Mitarbeiter und koordiniert die Arbeit in Chak-e-Wardak. Zu groß die Angst vor Kriminalität, den Entführungen, denen sie schon mal um Haaresbreite entkommen ist. Und vor der Gewalt, die sie selber schon am eigenen Leib erfahren hat. Seitdem erträgt sie keine völlige Dunkelheit mehr.



Zunächst war die in Ostpreußen geborene Schefter in den 80er Jahren als illegale medizinische Helferin während des sowjetisch-afghanischen Krieges in das Land gegangen. "Anfangs sind mir die Kriegsverletzten unter den Händen gestorben", erinnert sie sich. 1989 - kurz nach Abzug der Sowjets - gründete sie das Krankenhaus, das fast vollständig aus Spenden finanziert wird, unter anderem vom katholischen Kindermissionswerk "Die Sternsinger". Eine Rekordzahl von mehr als 103.000 Patienten wurde dort 2010 behandelt, davon viele kostenfrei.



Fünf Regimewechsel erlebt

Fünf Regimewechsel hat Schefter erlebt: Selbst unter den Taliban blieb das Krankenhaus mit den zwei Operationssälen, der Röntgenstation, dem Impf- und dem Ausbildungszentrum unangetastet. Vielleicht, weil es das einzige Hospital in einer Provinz mit 500.000 Einwohnern ist, in einem fruchtbaren Tal in 2.400 Meter Höhe. Wahrscheinlich aber auch, weil sich Schefter und ihre afghanischen Mitarbeiter jeder politischen Meinungsbekundung enthalten. "Wir sind medizinische Partei und sonst nichts", darauf besteht sie. Ob sich das Krankenhaus auf diese Weise halten lässt?



Dass westliche Hilfe die Strukturen ändern könnte, bezweifelt sie. Verändern könnten nur die Afghanen selber ihr Land, sagt die Katholikin, die auch vor christlicher Missionierung warnt. "Wir müssen Brücken schlagen, wir müssen den Menschen helfen, ohne sie zu bevormunden, ohne den Respekt vor ihrer Kultur, ihren Traditionen und ihrer Souveränität zu verlieren", so lautet ihr Rat. "Ich gebe die Menschen nicht auf."