Volle Körbe mit Buchsbaum stehen auf den Altarstufen in der Minoritenkirche; daneben liegen Palmwedel, die später die Priester in der Hand tragen. Viele Kirchenbesucher halten an diesem Morgen bereits kleine Zweige bereit, als die Messdiener die feierliche Prozession der Bonner Seminaristen, des Domkapitels, der Weihbischöfe und des Kölner Erzbischofs anführen und mit dem mit roten Blüten geschmückten Vortragekreuz in die Kölner Innenstadtkirche am Kolpingplatz einziehen. Andere greifen in den am Eingang aufgestellten Vorrat und binden sich einen kleinen Strauß aus dem grünen Gewächs zusammen – vereinzelt sogar mit einer mitgebrachten roten Schleife. Denn festliches Rot, die symbolische Farbe für Blut, tragen heute auch alle Priester, wie es am Palmsonntag – lateinisch: Dominica in Palmis de passione Domini – liturgische Vorschrift ist.
Dann beginnt hier traditionell, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Dom, die Feier des Palmsonntags mit der Palmenweihe. Kardinal Woelki segnet die Zweige und besprengt sie mit Weihwasser. Später werden sie in der Prozession zum Dom als "Zeichen des Lebens und des Sieges" mitgeführt, um im Anschluss mit nach Hause genommen und dort an Kreuze in den eigenen Wohnräumen gesteckt zu werden. Der Symbolgehalt zielt darauf ab, Jesus als Gegenbild zu einem machtvollen Herrscher mit Waffengerät und Kriegswagen zu zeigen; als einen, der seine Anhänger nicht durch politische und militärische Macht für sich gewinnt, sondern Friedenskönig sein will.
In seiner Begrüßung lädt der Kölner Erzbischof die versammelte Gemeinde, die sich später der von einer Blaskapelle begleiteten Prozession anschließen wird, dazu ein, "mit der ganzen Kirche in die Feier der österlichen Geheimnisse unseres Herrn einzutreten". Zuvor hat er daran erinnert, dass die Fastenzeit der Vorbereitung auf Ostern diene: zur Bekehrung der Herzen und zur tätigen Nächstenliebe. Wörtlich sagt er: "Christus ist in seine Stadt Jerusalem eingezogen; dort wollte er Leiden und Tod auf sich nehmen, dort sollte er auch auferstehen." Nun gelte es, mit Glauben und innerer Hingabe das Gedächtnis seines Einzugs zu begehen. "Wir folgen dem Herrn auf seinem Leidensweg und nehmen teil an seinem Kreuz, damit wir auch Anteil erhalten an seiner Auferstehung und seinem Leben."
Wie umjubelt damals dieser Einzug Jesu auf einem Esel war, schildert der Evangelist Lukas. Er berichtet von der Freude über die Ankunft des Messias und davon, dass die Jünger ihre Kleider auf dem Weg ausbreiteten und riefen: "Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe!"
Schließlich fordert Woelki dazu auf, "wie einst das Volk von Jerusalem Jesus zujubelte", den Herrn durch die Straßen zu begleiten und ihm Lieder zu singen. Und so stimmen die Bläser den ersten Jubelhymnus an: "Singt dem König Freudenpsalmen, Völker, ebnet seine Bahn: Salem, streu ihm deine Palmen, sieh, dein König kommt heran…" Auch in den folgenden Liedern wird der "König" besungen, der "wahre Gott und Mensch", der "Friedensfürst", der alles zum Guten wendet und dessen Herrschaft anbricht. Der Prozessionszug geht am WDR und am Domforum vorbei, bis er die Pforten des Domes erreicht. Hier schlägt ihm dann aus dem Kircheninneren ein von Orgelbrausen begleitetes "Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!" entgegen.
Im Zentrum der Domliturgie, die musikalisch von der Domkantorei unter der Leitung von Joachim Geibel gestaltet wird, steht dann das Passionsgeschehen nach dem Evangelisten Lukas. Eindringlich schildern Diakon Thorsten Giertz, der dem Erzähler seine Stimme leiht, Dompropst Guido Assmann, der den Christuspart übernimmt, und Lektorin Dinah Breithaupt den Verrat durch Judas, das letzte Passahmahl mit den zwölf Jüngern, die Leugnung Petri, Jesu Gebetskampf im Garten Gethsemane, seine Gefangennahme, Verurteilung und schließlich die Kreuzigung und seinen Tod.
Und noch etwas rückt am Palmsonntag inhaltlich immer wieder in den Fokus: der Kontrast zwischen den Hosanna-Rufe der Menschen, die damals Jesu Einzug in die Heilige Stadt begleiteten, und den "crucifige"-Rufe einer aufgebrachten Menge, die schon bald darauf folgten. Am Kreuz wollte das Volk ihn schließlich sehen. Denn Jesus, den die Juden als den großen Heilsbringer gefeiert hatten, war in ihren Augen gescheitert, hatte die Erwartungen derjenigen nicht erfüllt, die in ihm den politischen Befreier Israels gesehen hatten.
In seiner Predigt greift auch Kardinal Woelki diese Polarisierung auf. "Heute hui, morgen pfui" – das sei aus vielen Lebensbereichen, unter anderem aus der Welt des Fußballs bekannt, argumentiert er denn auch anschaulich. Wer heute noch der "Winner" sei, könne morgen schon der "Loser" sein. Ein solches Wechselspiel von Hopp oder Top bestimme aber auch die Politik. Wie schnell werde aus einem Hoffnungsträger durch einen vermeintlich falschen Satz eine Person, die in Ungnade falle? "Heute Hosianna, morgen kreuzigt ihn; heute verehrt, morgen verachtet" – das bestimme auch die Ereignisse des Palmsonntags, so der Kardinal. Doch wie könne sich binnen weniger Tage das Blatt so wenden, die Stimmung derart kippen?
"Wenn Erwartungen enttäuscht werden", erklärt er, zumal diese heute häufig durch die Massenmedien oder soziale Netzwerke geschürt würden. "Sie machen aus Menschen Figuren, die gefälligst so zu sein, so zu leben, so zu reden haben, wie die Öffentlichkeit es möchte. Sie sollen perfekte Vorbilder sein, die wir anhimmeln können, die uns nach dem Munde sprechen. Aber wehe, diese Person macht plötzlich ihr eigenes Ding!" Auch Jesus habe den Erwartungen der Menschen damals nicht entsprochen. Wer in ihm einen politischen Anführer gesehen habe, der die Römer vertreiben würde, sei ebenso enttäuscht worden wie jemand, der von ihm Wunderheilungen auf Knopfdruck erwartet habe. Und dennoch – trotz aller Qualen – sei Jesus seinen Weg gegangen, das Reich Gottes bereits hier und heute anbrechen zu lassen. "Darin bleibt er sich treu, bis zuletzt", betont Woelki. "Auf Gott vertrauen heißt, ihm mehr zu vertrauen als den Menschen – und zwar um ihretwillen." Das sei die Lektion des Palmsonntags.
Ein solches Vertrauen werde nicht mit Glanz und Gloria belohnt, sondern münde in den Karfreitag. "Es ist kein Weg des Erfolgs. Es ist kein Weg des Sieges. Es ist kein Weg des Zuspruchs. Es ist der Weg des Glaubens", formuliert der Kardinal wörtlich. Und dieser Glaube wisse um einen ganz anderen Sieg: nicht um den des Stärkeren, Besseren, Schöneren, Beliebteren oder Reicheren. "Der Glaube weiß um den Sieg der Liebe zu allem Lebendigen – und das auch noch über den Tod hinaus."