Kardinal wegen Nichtanzeige vor Gericht

Priester im Amt belassen

Lange Zeit blieb Frankreichs Kirche von einer Missbrauchswelle wie in Irland, den USA, Belgien, Österreich oder Deutschland verschont. Doch nun schwappt eine Woge der Kritik über den Primas Galliens, Kardinal Barbarin.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Kerzen in den französischen Nationalfarben / © Daniel Karmann (dpa)
Kerzen in den französischen Nationalfarben / © Daniel Karmann ( dpa )

Die Kommentare in den Sozialen Netzwerken quillen über vor Häme. Ein Fake-Twitterer namens "Brigitte Macaron", Anspielung auf Frankreichs Präsidentengattin, postete: "Barbarin in den Knast!" Lafayette 06300: "Früher oder später wird Gott dich strafen!" Ein weiterer nennt ihn "Sau". Der nächste jubelt schlicht: "Halleluja!"

Anhörung vor Gericht

Was ist geschehen? Der Lyoner Kardinal Philippe Barbarin ist am Dienstag wegen Nichtanzeige sexueller Übergriffe vor Gericht angehört worden. Kläger sind zehn Opfer eines pädophilen Priesters, ehemalige Pfadfinder aus der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Sie werfen Barbarin vor, im Jahr 2007 Vorwürfe gegen den Priester nicht weiterverfolgt zu haben, der sich an Dutzenden Schutzbefohlenen verging. Was den 66-jährigen Kardinal im Fall einer Verurteilung als Strafmaß erwarten könnte, ist noch unbekannt. Nur dies teilte das Gericht vorerst mit: Die Hauptverhandlung findet im April 2018 statt; das Urteil soll am 6. April fallen.

Mitte August hatte Barbarin im Interview der Zeitung "Le Monde" Fehler im Umgang mit Anzeigen sexuellen Missbrauchs eingeräumt. Sein Vorgehen 2007 sei der Schwere der Vorfälle "nicht angemessen" gewesen, so der französische Primas. Heute dürfte der betreffende Priester nicht mehr weiter amtieren, so der Kardinal. Sein eigenes damaliges Verhalten bezeichnete er als Fehler, besonders gegenüber den Opfern. Deren Wunden seien auch damals längst nicht verheilt gewesen. Zugleich betonte er, "absolut nichts vertuscht" zu haben.

Priester damals im Amt belassen

Dieses Wort sei in dem Kontext "unzulässig". Barbarin erklärte, der betreffende Priester habe nach einer Anzeige 2007 beteuert, seit 1991 sei nichts mehr vorgefallen. Dies habe er prüfen lassen und den Priester damals im Amt belassen. "Einige sagen, dass das nicht möglich ist, da Missbrauchstäter unweigerlich Wiederholungstäter seien", so der Primas. Tatsächlich sei aber bis heute nichts mehr aktenkundig geworden.

Die französische Öffentlichkeit lässt dennoch nicht mehr locker. In den anonymen, vermeintlich sozialen Netzwerken herrscht eine Art Pogromstimmung. "Les aristocrates a la lanterne."

Es ist nicht der einzige Fall, der dem Erzbischof von Lyon zur Last gelegt wird. Bereits 2016 war gegen Barbarin wegen Nichtanzeige sexueller Übergriffe ermittelt worden. Damals stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren nach einigen Monaten ein; es habe keine Hinweise auf eine Straftat seinerseits gegeben.

Der Vorwurf: Ein inzwischen 43-jähriger Kläger, heute ein ranghöherer Ministerialbeamter, wirft dem Pfarrer Jerome Billioud vor, 1990 bei einer Ferienfreizeit in Biarritz auf ihn masturbiert zu haben. Er sei lange Zeit traumatisiert gewesen und habe mit niemandem sprechen können. Als er sich 2009 an die Justiz wandte, wurde die Klage wegen Verjährung fallengelassen.

Der Kläger gab an, im persönlichen Gespräch habe Kardinal Barbarin 2009 freimütig eingeräumt, genau über den Fall Bescheid zu wissen und die Fakten anzuerkennen. Er sei fassungslos gewesen, so der Kläger, dass Barbarin dennoch weder die Strafbehörden informiert noch Billioud aus der Seelsorge und aus der Nähe zu Kindern entfernt habe. "Er [der Kardinal] wollte die Sache unter den Teppich kehren - aber jetzt fliegt sie ihm um die Ohren."

Politischer Druck

Auch die damalige sozialistische Regierung von Premierminister Manuel Valls hielt den Druck auf Barbarin lange hoch. Die damalige Staatssekretärin für Opferfragen Juliette Meadel forderte nicht weniger als seinen Rücktritt; das sei "das Mindeste". Kurz darauf meldete sich - ungewöhnlich genug im laizistischen Frankreich - Premier Valls persönlich zu Wort. "Ein Mann der Kirche, ein Kardinal, Primas von Frankreich, der einen moralischen und intellektuellen Einfluss hat und eine hohe Verantwortung in unserer Gesellschaft trägt, muss den Schmerz [der Opfer] verstehen." Er müsse nun "Verantwortung übernehmen; er muss sprechen und handeln".

Seitdem hat der Kardinal viel gesprochen - und einen möglichen Rücktritt bislang ausgeschlossen. Ein Shitstorm wie der, der sich seit der Gerichtsmitteilung vom Dienstagnachmittag über ihn ergießt, dürfte an niemandem spurlos vorübergehen.


Kardinal Philippe Barbarin (m.) / © Jean-Mathieu Gautier (KNA)
Kardinal Philippe Barbarin (m.) / © Jean-Mathieu Gautier ( KNA )
Quelle:
KNA