Kardinal Reinhard Marx unter dem Eindruck des Berlin-Anschlags

Eine politische Silvesterpredigt vorab

Eine gemütliche Runde zum Ende des Jahres hätte der Besuch von Kardinal Reinhard Marx im Münchner Presseclub sein können. So wie jedes Jahr. Doch der Terror auf dem Berliner Weihnachtsmarkt veränderte alles.

Autor/in:
Barbara Just
Reinhard Kardinal Marx / © Arne Dedert (dpa)
Reinhard Kardinal Marx / © Arne Dedert ( dpa )

Das dürfte es im Münchner Presseclub auch noch nicht gegeben haben: Ein Kardinal spricht im überfüllten Veranstaltungsraum ein Gebet für die Opfer des Terroranschlags in Berlin und bittet Gott darum, die Trauernden zu trösten. Zugleich ruft er ihn an, den Menschen zu helfen, besonnen zu bleiben und allen Hass zu überwinden.

Der letzte Presseclubtermin im Jahr ist traditionell für den Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, reserviert. Für einen entspannten Jahresrückblick, gewürzt mit ein paar Anekdoten und politischen Anmerkungen. Doch die sich überstürzenden Ereignisse von Berlin lassen das nicht zu.

Vorgezogene Silvesterpredigt

Während die Polizei noch ermittelt und aus der Politik schon die ersten Rufe nach Konsequenzen laut werden, nutzt Marx die Gelegenheit zu einer vorgezogenen Silvesterpredigt. Bei allem Verständnis für sicherheitspolitische Maßnahmen mahnt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zu besonnenem und klugem Reden und Handeln. Denn er sorgt sich um das Klima im Land und "wie wir miteinander reden". Die Terroristen wollten doch nur eins, die Gesellschaft destabilisieren und sie zu Fall bringen. Diesen Gefallen dürfe man ihnen nicht tun.

Ob die Weihnachtsmärkte nun schließen sollten, darüber maßt sich der Kardinal kein Urteil an. Marx geht es um etwas anderes: Bei aller Aufgeregtheit dürfe das Reflektieren nicht vergessen werden. Gewalt könne keine Antwort auf Gewalt sein. Die Kirchen würden deshalb auch nicht müde, die christliche Botschaft weiter zu verbreiten. Dabei tue er dies "ohne jede Naivität", denn die Sünde sei in der Welt. Terroristen, egal ob vom IS oder dem NSU, ließen sich von der Botschaft der Liebe nur schwer überzeugen.

Aber das Evangelium sei nun einmal ebenfalls da, betont der Kardinal. Davon könne man nicht lassen. Natürlich: Die Kirchen müssten keine Wahlen gewinnen und hätten es daher leichter als Politiker. Doch die Zukunft Europas und auch des Westens hänge letztlich davon ab, sich zu vergewissern, für welche Werte man stehe. Die Menschen wollten einfache und klare Antworten, gibt Marx die momentane Stimmung wieder und hat auch gleich eine ernüchternde Reaktion parat: Es gibt diese einfachen Antworten nicht.

Flüchtlingsfrage und Bundestagswahl

Angesprochen auf die Flüchtlingsfrage lässt Marx erkennen, dass er von Schlagworten wie "Willkommenskultur" nicht viel hält, vor allem wenn diese plötzlich nur noch negativ gesehen werden. Dafür wiederholt er wie ein Mantra die aus seiner Sicht fünf wesentlichen Punkte: Jeder, der an die deutsche Grenze komme, müsse menschenwürdig behandelt werden; jedem stehe ein faires Verfahren zu, ob er bleiben könne oder zurückgeschickt werden müsse; Abschiebungen in Kriegsgebiete dürfe es nicht geben; es müsse alles getan werden, dass Flüchtlinge nicht schon vor der Grenze umkämen; außerdem sei zu überlegen, was in den Herkunftländern getan werden könne, damit die Leute erst gar nicht aufbrächen.

Das alles sei nicht leicht, räumt der Kardinal ein. Das habe er so auch jüngst Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) gesagt. Und dann verrät der Kardinal aus dem vertraulichen Gespräch einen Satz. Seehofer habe einen sechsten Punkt hinzugefügt, nämlich auf die Sorgen der Menschen hierzulande zu achten. Darüber seien sich beiden einig gewesen.

Der Bundestagswahl 2017 sieht Marx mit gemischten Gefühlen entgegen. Drohen könnte eine Wahlschlacht mit Vereinfachungen, Disziplinlosigkeiten, befeuert durch Hassbotschaften in den sozialen Medien. "Wir müssen mit der Vielfalt umgehen lernen", mahnt der Erzbischof. Der christliche Glaube könne dabei helfen. So gehe er denn "gerüttelt und geschüttelt" ins neue Jahr - gedämpft, aber dennoch mit Hoffnung.


Quelle:
KNA