Kardinal Ouellet ist zivilgerichtlich verurteilt worden

Wegen "Machtmissbrauch"

Immer wieder treffen sich Kirchenleute auch vor zivilen Gerichten. Doch ein Fall in der Bretagne sticht hervor. Hier kam es wohl auch aufgrund der Intransparenz des Vatikans zu einem harten Urteil gegen einen Kardinal.

Autor/in:
Simon Kajan
Kardinal Marc Armand Ouellet / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Marc Armand Ouellet / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Die Verurteilung des ehemaligen Präfekten der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet, durch ein Zivilgericht im bretonischen Lorient sorgt nicht nur in Frankreich für Aufmerksamkeit.

Der einst sehr mächtige Kurienkardinal wurde in erster Instanz dazu verurteilt, Schadensersatz in sechsstelliger Höhe an eine ehemalige Ordensfrau zu zahlen. Der Grund: Sie sei durch seine Entscheidungen grundlegend verleumdet und geschädigt worden. Es ist wohl das erste Mal, dass ein Kardinal von einem Zivilgericht für eine interne Kirchenangelegenheit zur Verantwortung gezogen wird.

Ehemalige Ordensfrau klagte

Die ehemalige Ordensfrau Sabine Baudin de la Valette (57), auch bekannt unter ihrem Ordensnamen Mutter Marie Ferreol, klagte gegen den Kardinal sowie gegen zwei Visitatoren und gegen ihre Gemeinschaft, weil sie sich aus ungerechtem Grund aus ihrer Ordensgemeinschaft ausgeschlossen sieht. Die "Dominikanerinnen vom Heiligen Geist" sind in Frankreich vor allem in Schulen tätig.

Im Hintergrund schwelt offenbar ein Konflikt innerhalb der Ordensgemeinschaft, der die theologische Ausrichtung und Teile der religiösen Praxis der Schwestern betrifft. Mittlerweile gab es drei apostolische Visitationen. Während die erste die Gründergestalt Victor-Alain Berto (1900-1968) näher untersuchte und nicht näher benannten Vorwürfen gegen ihn nachging, scheinen sich die beiden anderen Visitationen mit den internen Konflikte befasst zu haben.

Ordensfrau mit Maske im Gottesdienst / © Radoslaw Czajkowski (shutterstock)
Ordensfrau mit Maske im Gottesdienst / © Radoslaw Czajkowski ( shutterstock )

Die von Ouellet ausgeschlossene Marie Ferreol reklamiert für sich, bereits 2011 den Heiligen Stuhl und den Ortsbischof über die Praxis der sogenannten "Agape-Therapie" im Studienhaus der Gemeischaft in Pontcallec informiert zu haben. Die aus dem kanadischen Quebec stammende Methode von "Introspektionen" sollen "spirituelle Fesseln" lösen, die sich in der frühen Kindheit gebildet haben sollen. Sie versteht sich als "Hilfsprozess", in dem Gott gebeten wird, Verletzungen "ab der Empfängnis, dem Mutterschoß, der Geburt und in der frühen Kindheit" zu entfernen. Kritiker kritisieren, die Methode vermenge Theologie und Psychologie. 

Laut Darstellung der ausgeschlossenen Schwester entwickelte sich daraus eine Eigendynamik, die soweit gegangen sein soll, dass eine Schwester den 1968 verstorbenen Institutsgründer als "Priester im Sold des ägyptischen Gotts Osiris" wahrgenommen habe. In der Folge sollte bespielsweise die Kapelle als mutmaßlicher Freimaurertempel abgerissen werden, ist den Berichten der Schwester zu entnehmen.

Vorwürfe führten zu einem ersten Eingreifen des Vatikans

Offenbar führten die Vorwürfe zu einem ersten Eingreifen des Vatikan: die damalige Kommission Ecclesia Dei entsandte eine Visitation, in deren Folge das Studienhaus verlegt und eine kommissarische Leitung eingesetzt wurde. Aufgrund der damit verbundenen Kurskorrektur verließen mehrere Schwestern die vor allem von Aristokratinnen bevölkerte Gemeinschaft.

Das dritte Eingreifen des Vatikans - diesmal vor allem vom damaligen Präfekten der Kongregation für die Bischöfe vorangetrieben - führen Beobachter auf einen persönlichen und theologischen Konflikt zwischen Marie Ferreol und einer jüngeren Ordensschwester zurück, deren Familie mit Kardinal Ouellet befreundet ist. Doch führte der offenbar vom Papst dazu bevollmächtigte Kardinal die Visitation nicht selbst durch, sondern beauftragte einen Benediktinerabt und eine Zisterzienseräbtissin, die beide mit ihm ebenfalls freundschaftlich verbunden sein sollen. In der Folge zeichnete Kardinal Ouellet jedoch den Ausschluss von Marie Ferreol aus der Gemeinschaft mit weitgehenden Auflagen. Nach einem Rekurs der Schwester bestätigte Papst Franziskus den Beschluss.

Seitdem hat sich auch die linksliberale Tageszeitung "Le Monde" mit ihren Recherchen zur Anwältin der traditionalistischen Aristokratin gemacht. Die Zeitung richtete den Blick auf die Rolle von Emilie de Vigouroux d'Arvieu, alias Mutter Marie de l'Assomption. Die an der Sarbonne promovierte Ordensfrau wird als enge Vertraute des Kardinals vorgestellt, der das Vorwort für ihre Dissertation schrieb. In dieser verteidigte die Ordensschwester die Thomas-Interpretation der "Nouvelle theologie" in der Tradition Henri de Lubacs und Maurice Blondels. Mit dieser Position dürfte sie bei der im französischen Traditionalismus verwuzelten Gemeinschaft und inbesondere bei Marie Ferreol auf entschiedenen Widerspruch gestoßen sein.

Papst schrieb Brief an die Ordensfrauen

Für weitere Irritationen sorgte zudem, dass Papst Franziskus sich mit einem Brief an die Ordensfrauen gewandt hatte. Im Dezember 2021 schrieb er den Schwestern, er habe sich persönlich um die Probleme ihres Instituts gekümmert und bestätigt in seinem Schreiben indirekt die Schritte gegen Marie Ferreol. 

Papst Franziskus an einem Schreibtisch / © Lola Gomez/CNS photo (KNA)
Papst Franziskus an einem Schreibtisch / © Lola Gomez/CNS photo ( KNA )

Das Gericht in Lorient, vor dem die nun wieder bürgerliche Sabine Baudin de la Valette zivilrechtlich Klage einreichte, hält den Visitatoren vor, die Schwester nach 34 Jahren ohne triftigen Grund aus der traditionalistischen Gemeinschaft von Pontcallec entlassen zu haben, ohne der Betroffenen irgendwelche Gründe zu nennen. Die Anwältin der Nonne, Adeline le Gouvello, wies darauf hin, dass ihr "nicht einmal die Möglichkeit gegeben wurde, sich zu verteidigen oder einen Anwalt zu haben". 

Die Zeitung "La Croix" berichtet zudem, dass die Vorsitzende des Zivilgerichts, Armelle Picard, den Vatikan kritisiert habe, weil er nie Zugang zu den Akten des Dikasteriums gewährt habe. Der Vatikan habe durch einen Anwalt mitgeteilt, dass es kein Recht auf Zugang zu den vertraulichen Akten gebe.

Der kanonistische Rechtsbeistand der ausgeschlossenen Schwester, der an der Universität Toulouse lehrende Rechtshistoriker Cyrille Dounot, sagt dazu, es sei für ihn "erschütternd, wie sehr die Kirche, die das Recht im Mittelalter neu erfunden" hatte, angesichts der Herrschaft des Rechts des Stärkeren "nicht mehr in der Lage ist, die wesentlichen Prinzipien zu respektieren, die es selbst festgelegt hat: die Unschuldsvermutung, die Achtung der Verteidigungsrechte, die Achtung der Verfahren, die hierarchischen Rechtsmittel".

Kurie

Römische Kurie nennt man die Gesamtheit der kirchlichen Behörden, durch die der Papst die Kirche leitet. Sie trägt ihren Namen nach der ältesten Einteilungsform der römischen Bürgerschaft, die "Kurie" (lateinisch curia). Zur Römischen Kurie gehören das vatikanische Staatssekretariat, die Kongregationen, die Gerichtshöfe, päpstlichen Räte und Kommissionen.

Zwei Geistliche vor den Absperrungen am Petersplatz / © Evandro Inetti (dpa)
Zwei Geistliche vor den Absperrungen am Petersplatz / © Evandro Inetti ( dpa )

 

Quelle:
KNA